Ein gefährlicher Gentleman
bereits Vorhaltungen gemacht. Er hat mir erklärt, dass wir beide eigentlich gar nicht verwandt sind.«
Miles hatte sich hin und wieder schon gefragt, ob er Luke über seine Gefühle zu Elizabeth wohl täuschen konnte. »Und?«
»Luke hat was gesagt, von wegen, dass wir nicht allein unterwegs sein dürfen. Ich habe ihm erklärt, er übertreibe es und verhalte sich lächerlich.«
»Und?«, wiederholte Miles mit einem zynischen Lächeln.
Sie ging Richtung Tür. Die Seidenröcke umspielten sie, und er roch ihr Fliederparfüm. »Ich habe ihm erklärt, unsere Beziehung habe sich nicht verändert, nur weil wir jetzt älter sind.«
»Aha«, antwortete er leise. Aber sie hatte den Raum schon verlassen.
Kapitel 11
Das Tagebuch lag vor ihr auf dem Schreibtisch. Madeline musterte es, wie man wohl eine eingerollte Schlange anblicken würde.
Dieses Büchlein hatte ihr erhebliche Schwierigkeiten bereitet, und infolge dieser Schwierigkeiten hatte sich ihr Leben verändert. Sie fragte sich insgeheim, was Colin wohl sagen würde, wenn er wüsste, was geschehen war, nur weil er den Wunsch verspürt hatte, seine geheimen Gedanken niederzuschreiben.
Als es ihr wieder ausgehändigt worden war, hatte sie es sofort in dem Safe eingeschlossen. Vorher war sie nicht so sehr auf Sicherheit bedacht gewesen und hatte es bloß in einer Schublade liegen lassen. Sie wähnte es im Safe sehr sicher, aber ganz beruhigt war sie noch nicht. Vielleicht war es angebracht, sich nach einem besseren Versteck umzusehen.
Sie hatte versucht, das Tagebuch zu vergessen, aber so einfach war das offenbar nicht. Sie sah sich gezwungen, es hervorzuholen und wenigstens darüber nachzudenken, es zu lesen.
Was sie am meisten beschäftigte, war die Frage, wie Lord Fitch überhaupt in Besitz des Tagebuchs hatte gelangen können. Wenn er es einmal geschafft hatte, was garantierte ihr dann, dass es ihm nicht erneut gelang?
Im Arbeitszimmer war es ruhig. Colins Ledersessel war von der ständigen Benutzung angenehm abgenutzt. Er hatte es geliebt, sich zurückzuziehen und in seiner Arbeit zu versinken. Madeline hatte immer Nachsicht gezeigt; sie vermutete, er hatte diese Zeit zumeist mit Tagträumereien, mit dem Lösen von Kreuzworträtseln, Lesen und offensichtlich auch dem Führen seines Tagebuchs verbracht. Die Regale, die an den eichengetäfelten Wänden standen, waren mit seinen geliebten Büchern gefüllt, und der Pfeifenständer nebst Tabakdose stand noch genauso da, wie er sie zurückgelassen hatte.
Ihr neuer Liebhaber unterschied sich auf jede nur erdenkliche Weise von ihm.
Ihr Mann hatte ein romantisches Wesen besessen. Dies äußerte sich durch Blumen, die er ihr mitbrachte, Picknicks im Mondenschein und ein paar kleine, wohlformulierte Gedichte.
Luke hingegen war eher der Typ Mann, der blutende Männer aus ihrem Haus schaffte und gestohlene Gegenstände wieder in ihren Besitz brachte. Es stand für sie außer Frage, dass diese beiden Männer sehr unterschiedlich waren. Aber sie ermahnte sich, schließlich suchte sie nicht nach jemandem, der ihr Colin ersetzte.
Die Gedichte, die er ihr geschrieben hatte, ließen nur erahnen, was ihr Gatte unter Umständen in einem Buch niedergeschrieben hatte, von dem er glaubte, niemand werde es je zu Gesicht bekommen. Es kam ihr immer noch falsch vor, in seine intime Gedankenwelt vorzudringen. Aber diese vertraulichen Zeilen waren bereits von Fitch beschmutzt worden. Vielleicht gelang es ihr besser, den anzüglichen Blicken und lüsternen Bemerkungen Seiner Lordschaft etwas entgegenzusetzen, wenn sie genau wusste, was der Mann gelesen hatte.
Dennoch erforderte es einigen Mut, den in Leder gebundenen Band zu öffnen. Der Buchdeckel war von den Jahren, in denen er geöffnet und geschlossen worden war, weich und brüchig geworden. Beim Anblick der vertrauten, nachlässig hingeworfenen Buchstaben aus der Hand ihres Mannes spürte Madeline einen Klumpen in der Kehle. Sie zwang sich trotzdem, es zu lesen.
Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, ehe sie auf die erste, wirklich persönliche Passage stieß. Das Buch war nicht wie ein Tagebuch geführt worden. Stattdessen hatte Colin es gelegentlich zur Hand genommen und etwas notiert, das ihn inspirierte: kleine Schnipsel aus seinem Leben inklusive der Frauen, um die zu werben er überlegt hatte, wie Madeline mit amüsiertem Interesse las. Das war, ehe sie sich begegneten, und sie gewann den Eindruck, es handele sich um seine persönliche Lebensreise, die er auf diesen
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