Ein gefährlicher Gentleman
beschäftigt schien, hatte sie gefragt, ob irgendwas nicht in Ordnung sei.
Die Antwort war einfach. Nichts ist in Ordnung.
Die Brunnenfontäne ließ das Wasser niederfallen. Die kleine Statue in der Mitte – ein steinerner Fisch mit offenem Maul – entließ es in einer nicht enden wollenden Kaskade aus gurgelndem Nass. Es war irgendwie verlockend, sich vorzubeugen, die Röcke zu lüften und die Schuhe abzustreifen. Dann löste sie ihre Strümpfe und rollte sie nach unten. Sie drehte sich wieder um und steckte die Zehen vorsichtig ins Wasser, ehe sie die Beine bis zur Mitte der Wade in den Brunnen stellte. Es fühlte sich herrlich an. Doch in ihrem Innern herrschte noch immer diese unerklärliche Unruhe.
Sie hatte sich wie eine Närrin verhalten, und jetzt musste sie dafür büßen. Warum hatte sie Miles so grob herausgefordert? Warum war sie so verdammt direkt und streitsüchtig?
»Du weißt schon, dass du das nicht in meinem Schlafzimmer hättest lassen dürfen.«
Die ruhige Stimme ließ sie herumfahren. Der Mittelpunkt ihrer Gedanken stand direkt hinter ihr, die Nachricht hielt er in der Hand. Nun, es war nicht außergewöhnlich, dass er auftauchte, während sie an ihn dachte, denn in der letzten Woche hatte sie ständig an ihn gedacht. Aber zu ihrer Erleichterung wirkte er … ganz normal. Na ja, wie Miles eben, mit seinem dunkelbraunen Haar und den bernsteinfarbenen Augen. Sein Gesichtsausdruck war fragend.
»Es war ja nicht möglich, sie dir persönlich zu übergeben.« Sie blickte auf die Nachricht in seiner Hand. »Du hast geschmollt.«
Seine Augenbrauen schossen hoch. Er stand hemdsärmelig auf dem Gartenweg. Zweifellos hatte er sein Jackett wegen des warmen Sommertags abgelegt. »Geschmollt? Auch wenn ich damit vielleicht riskiere, grob unhöflich zu sein, weil ich einer Lady widerspreche, aber ich fürchte, da liegst du falsch. Erwachsene Männer schmollen nicht. Wir brüten vielleicht vor uns hin oder werden sauer, aber schmollen passt nicht zu uns.« Er wedelte mit dem Stück Papier. »Also, was soll das hier?«
Es hatte sie so sehr geärgert, wie er sich verhielt, dass sie das Briefchen geschrieben hatte. Darüber reden wollte sie nun wirklich nicht. Er wirkte allerdings wohltuend normal, und vielleicht … War es unter Umständen möglich, dass der gefühlsmäßige Aufruhr der letzten Tage nur in ihrer Fantasie existierte? Sie schüttelte ein paar Wassertropfen von den Fingerspitzen, die wie Kristalle glitzerten, und lächelte. Sie hoffte, ihr Lächeln wirkte gefasst. »Ich habe nur versucht, mein Bedauern über die Meinungsverschiedenheit auszudrücken, die wir kürzlich hatten.«
Sein Mund verzog sich, als könnte er ihn nicht kontrollieren. »Es gab kein Missverständnis. Ich habe mich bloß geweigert, zu kooperieren, was dich über die Maßen irritiert hat. Aber«, fügte er mit der ihm eigenen dreisten Arroganz hinzu, »ich fand deine Nachricht höchst bewegend, das kannst du mir glauben. Im Laufe unserer langen Bekanntschaft habe ich noch nie erlebt, dass du dich für irgendetwas entschuldigt hast.«
»Aber das habe ich bestimmt!«, erwiderte sie hitzig.
»Nenn mir ein Beispiel.«
Na ja, vielleicht war sie wirklich dickköpfig, wenn es darum ging, ihre eigenen Fehler einzugestehen. Aber was das betraf, war er wohl kaum besser. Trotzdem hatte er in gewisser Weise recht, denn ihr kam kein Beispiel in den Sinn.
Bis heute.
»Siehst du, das habe ich mir gedacht. Dir fällt nichts ein«, sagte er.
Dieser Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sie verwirrt, seit sie fünf gewesen war. Was vorher war, wusste sie nicht so genau, weil ihre Erinnerungen nicht weiter zurückreichten.
Rückblickend war es wohl nicht besonders klug gewesen, den Brief auf sein Kopfkissen zu legen. Wenn man von der Möglichkeit absah, dass jemand sie in seinem Schlafzimmer erwischte, hätte sie ihn auch gar nicht schreiben dürfen, weil sie wusste, dass er sich etwas darauf einbilden würde. »Wir leben im selben Haushalt«, fauchte Elizabeth. »Ich habe mir nur Mühe gegeben, damit wir wieder miteinander reden.«
»Ich wusste nicht, dass wir das nicht mehr tun.«
»Wann haben wir zuletzt geredet?«, fragte sie unverblümt.
»Ich bin beschäftigt.«
»Ach, dann gehst du mir gar nicht aus dem Weg?«, fragte sie. Heiß brannte die Sonne durch das dünne Musselin ihres Tageskleids auf ihre Schultern. Kein Lüftchen ging.
Wenn es einen Charakterzug gab, den sie nur zu gut kannte – und sie wusste, sie kannte die
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