Ein Gentleman wagt - und gewinnt
formulieren, die ich vorhin gestellt habe?”
In Wirklichkeit bemühte sie sich, den muskulösen Schenkel zu ignorieren, der immer wieder ihre Röcke streifte. “Verzeihen Sie, Mr. Cavanagh, ich erinnere mich nicht, wonach Sie sich erkundigten.”
Weil ihre Verwirrung echt wirkte, glaubte er ihr. “Dann erlauben Sie mir, Ihr Gedächtnis aufzufrischen. Ich wollte wissen, ob Sie uns beide für Freunde halten.”
Obwohl sie sich nicht versteifte, spürte er ihre innere Abwehr – wie schon so oft, seitdem sie ihre Bekanntschaft in Bath erneuert hatten. Er verstand ihr Benehmen nicht. Soweit er sich entsann, hatte er nichts getan oder gesagt, um ihren Unmut zu erregen.
“Offen gestanden, ich habe Sie nie als einen Freund betrachtet, Sir”, erklärte sie.
Ihre Antwort verblüffte ihn nicht, indes bestärkte sie ihn in seinem Entschluss, die Barriere zu durchbrechen, die sie zwischen ihnen errichtet hatte. “Meinen Sie nicht, dass wir uns lange genug kennen, um diese unnötige Förmlichkeit beiseitezulassen, auf der Sie seit unserem Wiedersehen in Mrs. Fergussons Haus bestehen? Gegen meine Schwester haben Sie nichts einzuwenden, Abbie, obwohl Sie ihr erst vor Kurzem begegnet sind, und Sie gestatten ihr sogar, Sie mit Ihrem Vornamen anzusprechen.”
Darauf erwiderte sie nichts. Aber wie er mit einem prüfenden Seitenblick feststellte, entlockte er ihr immerhin ein schwaches Lächeln. Also hatte er einen Schritt in die richtige Richtung getan. Doch er wollte sie nicht zu sehr bedrängen. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, musste er erst einmal herausfinden, was hinter ihrer kühlen Zurückhaltung steckte.
Nachdem sich Eugenie und die Damen Whitham am vereinbarten Treffpunkt hinzugesellt hatten, rollte die Kutschenkolonne mit Bartons Karriole an der Spitze aus der Stadt. Inzwischen ging Abigail etwas bereitwilliger auf die eher unverfänglichen Gesprächsthemen ein, die er anschnitt. Am Picknickplatz angekommen, glaubte er, dass er sich nun endlich besser mit ihr verstünde.
Doch sobald sie die Decken im Gras ausgebreitet und die Picknickkörbe aus den Kutschen geholt hatten, eilte sie sofort zu ihrer Patentante.
“Wie schön es hier ist!”, schwärmte Lady Penrose, nippte zufrieden an ihrem zweiten Champagner und verspeiste genüsslich ein Stück Torte. “Oh, ich bin so froh, dass ich mitgekommen bin! Was für ein herrliches Wetter! Und in dieser idyllischen Umgebung muss man sich einfach wohlfühlen.”
Abbie betrachtete die saftig grüne, mit Blumen übersäte Wiese und den plätschernden Bach. Ohne Zögern hätte sie ihrer Patentante zugestimmt, wäre ihr nicht ständig der eigentliche Zweck dieses Ausflugs bewusst geworden. Voller Unbehagen schaute sie immer wieder zu Miss Caroline Whitham hinüber, die bei den jüngeren Leuten saß. Eine charmante junge Dame, allerdings ein bisschen schüchtern …
Wäre sie eine geeignete Gattin für Barton Cavanagh? Daran zweifelte Abbie. Von Natur aus ein dominanter Charakter, würde er die arme Caroline unterjochen.
Aber darum muss ich mich nicht kümmern, dachte Abbie. Wenn er eine unterwürfige Frau heiraten will und Caroline bereit ist, alle seine Wünsche zu erfüllen, soll es mir recht sein. Für mich käme eine solche Ehe niemals infrage …
Auch Giles Fergusson erschien ihr sehr sympathisch, obwohl sie ihn noch nicht allzu gut kannte. Besonders attraktiv sah er nicht aus, indes machte er das mit seinem liebenswerten Wesen wett. Zudem hatte sie den Eindruck gewonnen, dass er stets Rücksicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen nahm, ein bewundernswerter Charakterzug, der Barton Cavanagh fehlte.
Unwillkürlich schaute sie in die Richtung des Gentlemans, der ihr so gründlich missfiel, begegnete seinem Blick und las unverhohlene Belustigung in seinen dunklen Augen. Als er plötzlich aufstand, fürchtete sie, er würde zu ihr kommen und fragen, warum er ihr Interesse erregt habe. Das tat er glücklicherweise nicht. Stattdessen schlenderte er zu seiner leichten Reisekutsche und hob ein kleines Fass heraus. Mit Ausnahme von Josh, der sich lieber mit Bartons prächtigen Kastanienbraunen befasste, versammelten sich die Reitknechte daraufhin um ihn. Dankbar löschten sie ihren Durst mit dem Ale, das er ihnen ausschenkte.
“Oh, wie aufmerksam von Mr. Cavanagh”, meinte Lady Penrose. “Nur wenige Gentlemen würden dafür sorgen, dass die Dienstboten einen solchen Ausflug ebenfalls genießen.”
“Wohl kaum”, musste Abbie zugeben. Hatte sie Barton falsch
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