Ein Gentleman wagt - und gewinnt
ihre Hände zu ergreifen. Einem Weinkrampf nahe, war sie aus dem Salon geflohen, nachdem sie verkündet hatte, er sei der letzte Mann auf Erden, den sie zum Gemahl haben wollte.
“Verzeih mir, Liebes.” Lady Penroses Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. “So etwas dürfte ich nicht mit dir besprechen.” Irrigerweise hielt sie die Röte auf den Wangen ihrer Patentochter für ein Zeichen mädchenhafter Verlegenheit.
Inzwischen hatte Abbie ihre Gefühle wieder in der Gewalt. “Ich bin kein Kind mehr, Tante Henrietta. Und glaub mir, Sophia Fitzpatricks schlechter Ruf überrascht mich nicht.”
“Das verstehe ich. Da sie deine Nachbarin war, musst du einiges mitbekommen haben. Ständig neue Affären … Nun ja, sie ist sehr attraktiv. Und welcher Gentleman würde ablehnen, was ihm so freimütig angeboten wird?”
Abbie lächelte verächtlich. “Nun, vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich vor einer Ehe zurückschrecke. Ich möchte keinen Gatten umarmen, der nach dem Parfüm einer anderen riecht.”
“Das siehst du etwas zu pessimistisch, meine Liebe. Viele Männer sind ihren Gemahlinnen treu, nachdem sie sich vor der Hochzeit die Hörner abgestoßen haben.”
Da es Abbie ohnehin widerstrebte, Bartons Gesellschaft einige Stunden lang zu ertragen, hielt sie es für einen unglückseligen Zufall, dass sie kurz vor dem Picknick an seine Verfehlungen erinnert worden war.
Deshalb musste sie sich zu einer höflichen Begrüßung zwingen, als er vor Lady Penroses wartender Kutsche von einer schnittigen Karriole stieg. Umso freundlicher reichte sie seiner Schwester die Hand.
“Gleich wird Giles mit seiner Mutter eintreffen”, wandte Kitty sich an Lady Penrose, die ihrer Patentochter aus dem Haus gefolgt war. “Es war sehr nett von Ihnen, Ma’am, Mrs. Fergusson einen Platz in Ihrer Chaise anzubieten. In unserer können wir sie wegen der vielen Picknickkörbe nicht unterbringen. Caroline Whitham und ihre Mutter fahren mit Mama.”
“Bei uns dürfte es auch etwas beengt werden”, warf Abbie ein, “weil meine Patentante ebenfalls für reichlich Proviant gesorgt hat.”
“Ohne Champagner und eine große Auswahl an Gaumenfreuden ist ein Picknick kein Picknick”, entschied Lady Penrose. “Irgendwie werden wir uns schon alle in die Kutsche zwängen.”
Kitty schaute Abigail erstaunt an. “Wollen Sie etwa in einem geschlossenen Gefährt sitzen? Giles kommt in seinem Phaeton, und ich werde ihm Gesellschaft leisten. Setzen Sie sich neben meinen Bruder, Abbie. In der frischen Luft macht die Fahrt viel mehr Spaß.”
“Vielleicht möchte Miss Graham nicht mit mir allein sein”, gab eine tiefe Stimme zu bedenken. Abbie drehte sich um und starrte Barton an, der sie wieder einmal herausfordernd musterte.
“Was sollte sie denn dagegen haben?”, entgegnete seine Schwester, bevor Abbie eine passende Ausrede einfiel, um den Vorschlag abzulehnen. “Wo ihr euch doch seit Urzeiten kennt!”
Während Abbie sprachlos blinzelte, eilte Kitty davon und begrüßte Giles und seine Mutter, die soeben eingetroffen waren.
“Für wie alt hält sie mich eigentlich?”, schaffte Abigail es schließlich mit unnatürlich hoher Stimme zu sagen, worauf Barton ein Lächeln unterdrückte.
“Darf ich mich für meine taktlose Schwester entschuldigen? Sicher wollte sie nur betonen, dass wir beide schon sehr lange befreundet sind. Und das stimmt ja auch, nicht wahr?” Seufzend beobachtete er, wie Kitty auf Giles’ Phaeton kletterte. “Und wie üblich setzt sie ihren Willen durch. Nicht, dass es mich überraschen würde – mein Freund begegnet ihr viel zu nachsichtig.” Er wandte sich wieder zu Abigail, die in Weiß und Burgunderrot eine bezaubernde Erscheinung abgab. “Werden Sie eine ähnliche Großmut beweisen und während dieses Ausflugs meine Gesellschaft erdulden?”
Nach kurzem Zögern nickte sie und ließ sich auf den Sitz der Karriole helfen. Barton nahm neben ihr Platz und spornte die beiden Pferde an, sobald er sich vergewissert hatte, dass Mrs. Fergusson in Lady Penroses Chaise gestiegen war. An der Spitze der kleinen Kavalkade fuhr er die Straße hinab.
Etwa fünf Minuten lang schwiegen sie, ehe er sich erkundigte: “Sind Sie aus Rücksicht auf mich verstummt, Miss Graham? Das ist überflüssig, denn bin durchaus fähig, das Gespann zu lenken und gleichzeitig Konversation zu machen.” Da er vergeblich auf eine Reaktion wartete, fügte er hinzu: “Oder versuchen Sie eine Antwort auf die Frage zu
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