Ein Gentleman wagt - und gewinnt
Lippen zusammengepresst, hatte er ihr zugehört. Was er dachte, verriet er nicht. “Und was haben Sie jetzt vor? Werden Sie bei Lady Penrose bleiben, bis Ihr Großvater zur Vernunft kommt?”
Sie brach in freudloses Gelächter aus. “Darauf hoffte ich seit sechs Jahren vergeblich. Nun will ich mich nicht länger in Illusionen wiegen. Er wird seine Gesinnung nicht ändern. Und ich möchte nicht mehr in einem Haus leben, wo ich wie ein Dienstbote behandelt werde. Sicher wird er auf seinem Standpunkt beharren und mich weiterhin drängen, mich mit Ihnen zu vermählen, Barton. Deshalb hat er meinen Besuch bei Lady Penrose arrangiert – weil er wusste, dass Sie sich zur gleichen Zeit in Bath aufhalten. Das ist ein stichhaltiger Beweis für seine Absichten.”
“Also werden Sie hierbleiben. Ihre Patentante liebt Sie sehr.”
“Ja, sie ist wundervoll, und ich mag sie ebenfalls. Es ist nur …”
“Was?”
“Ich will nicht mehr bei ihr wohnen. Viel lieber würde ich ein eigenes Haus beziehen. Dann wäre ich unabhängig. Leider werde ich erst an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag über das Erbe meiner Mutter verfügen können. Aber vielleicht kann ich mich für Lady Penroses Güte revanchieren, indem ich als ihre Gesellschafterin fungiere. Ich fürchte jedoch, damit ist sie nicht einverstanden. Und sie wäre gekränkt, wenn ich woanders eine Stellung antreten würde. Um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, sehe ich lediglich eine einzige andere Möglichkeit – ich könnte Porträts malen.” Mit dieser Idee befasste sie sich schon seit einiger Zeit. Gespannt wartete sie ab, was Barton dazu sagen würde.
Statt darauf einzugehen, stieß er eine Verwünschung aus. “Zum Teufel mit Colonel Graham! Wann kommt er nach Hause?”
“Das weiß ich nicht. Es hängt davon ab, wie lange er bei seinem Neffen, Sir Montague Graham, in Yorkshire bleiben wird. Ihn will er auf der Reise ins schottische Hochland besuchen. Warum fragen Sie?”, erkundigte sie sich misstrauisch. “Möchten Sie etwa zu ihm fahren? Weil ich Ihnen dies alles erzählt habe?”
“Allerdings, verdammt noch mal!” Barton dachte gar nicht daran, seine Ausdrucksweise zu mildern. “Und ich werde ihm unmissverständlich klarmachen, was ich von ihm halte.”
“Nein, bitte nicht, Barton!”, flehte Abbie, trat auf ihn zu und berührte seinen Arm. “Tun Sie nichts, was Sie später bereuen könnten. Meinetwegen dürfen Sie sich nicht mit Ihrem Patenonkel entzweien. An meinem Problem tragen Sie keine Schuld, und Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern.”
“Ganz im Gegenteil”, erwiderte er in entschiedenem Ton. “Ich verdanke Ihnen sehr viel, Abbie. In meiner Jugend war ich ein selbstsüchtiger Bursche, ausschließlich an meinem Vergnügen interessiert. Ich glaube, durch Ihre Weigerung, mich zu heiraten, kam ich zur Besinnung. Danach änderte ich meinen Lebensstil. Natürlich habe ich immer noch meine Fehler. Aber ich habe wenigstens gelernt, die Gefühle anderer Menschen zu respektieren. Und während ich von jenen Ereignissen vor sechs Jahren profitierte, mussten Sie darunter leiden. Das ertrage ich nicht!”
Obwohl sie seine Läuterung bewunderte, schüttelte sie den Kopf. Keinesfalls wollte sie einen Konflikt zwischen zwei Männern auf ihr Gewissen laden, die einander so nahestanden wie Vater und Sohn. “Wenn Sie sich mit dem Colonel auseinandersetzen möchten, müssen Sie es um Ihrer selbst willen tun. Denn ich werde keine Vorteile daraus ziehen. Da ich mich in Bath außerordentlich wohlfühle, werde ich nicht nach Foxhunter Grange zurückkehren.”
Halb erwartete sie, dass er einwenden würde, in einiger Zeit könnte sie sich anders besinnen. Womit sie indes ganz gewiss nicht rechnete, war die Frage: “Warum wollten Sie mich nicht heiraten, Abbie?”
Es dauerte lange, bis sie antwortete. Unfähig, seinem durchdringenden Blick standzuhalten, trat sie ans Fenster. “Weil wir zu jung waren … Und wir hätten nicht zusammengepasst.”
“Wenigstens teilweise stimme ich Ihnen zu”, erwiderte er und ging zur Tür. “Ihre Patentante wird sich schon wundern, was aus Ihnen geworden ist. Deshalb sollte ich mich jetzt verabschieden.”
Kurz danach hörte sie die Haustür ins Schloss fallen und sah ihn die Straße entlangschlendern, offenbar in Gedanken versunken. Glaubte er ihr? Oder hegte er den Verdacht, sie sei nicht ganz ehrlich gewesen? Und warum hatte sie ihm die Wahrheit verschwiegen? Sie wusste keine Antwort darauf. Nur eins stand
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