Ein Gentleman wagt - und gewinnt
fest – aus irgendwelchen Gründen erschien ihr die ganze Sache nicht mehr wichtig. Was sie an jenem Nachmittag vor sechs Jahren beobachtet hatte, gehörte der Vergangenheit an. Zweifellos hatte Barton sich geändert. Wieso hatte sie so lange gebraucht, um das zu erkennen?
Am nächsten Vormittag begleitete sie ihre Patentante zur Trinkhalle. Auf dem Weg dorthin erinnerte sie sich an den Roman von Jane Austen und eilte zur Bücherei, bevor Lady Penrose protestieren konnte. Wie versprochen, hatte der Bibliothekar den Band für sie bereitgelegt. Sie verstaute ihn in ihrem Retikül und kehrte zum Ausgang zurück, wo ihr eine hochgewachsene Gestalt den Weg versperrte.
“Barton!” Unsicher lächelte sie ihn an. “Ich hätte nicht erwartet, Sie hier zu sehen.”
“Und ich hätte nicht erwartet, dass ich Sie ohne Begleitung antreffen würde. Wieso erlaubt Ihnen Lady Penrose, allein durch die Stadt zu spazieren? Darüber muss ich mit ihr reden.”
Belustigt, weil er sich wieder einmal in ihre Angelegenheiten einmischte, schlug sie vor, nach draußen zu gehen. Erstens erregten sie Aufmerksamkeit, zweitens hinderten sie andere Besucher daran, das Gebäude zu betreten.
“Ganz Bath wird morgen munkeln, dass Sie ein ungewöhnliches Interesse an meinem Wohlergehen nehmen, Barton”, bemerkte sie auf dem Weg zur Trinkhalle. “Vorhin ging Lady Crowe an uns vorbei, eine berüchtigte Klatschbase.”
Gleichmütig zuckte er die Achseln. “Und wenn schon! Es stimmt schließlich, Sie interessieren mich … Verdammt!”
Abbie wusste nicht, was ihn erschreckte – sein Geständnis oder der ungehörige Fluch. Im nächsten Moment umfasste er ihren Arm und schob sie unsanft in eine Hofeinfahrt.
“Was soll das, Barton?”
“Ganz einfach – ich möchte eine Begegnung mit der vermaledeiten Mrs. Herbert vermeiden, die uns gerade entgegenkommt. Das ist einer der Nachteile von Bath. Dauernd trifft man Leute, die man am allerwenigsten sehen will. Und ich verabscheue zudringliche Frauen. Seit ich diese Person das erste Mal gesehen habe, wirft sie ihre Netze nach mir aus …” Da er unverhohlene Verblüffung in Abbies blauen Augen las, unterbrach er sich. “Oh – zählt sie etwa zu Ihren Freundinnen?”
“Nein, aber ich dachte … Auf der Soiree schienen Sie Mrs. Herberts Gesellschaft zu genießen.”
“Als Gastgeber war ich verpflichtet, für das Wohl aller Anwesenden zu sorgen. Hätte ich es beeinflussen können, wäre diese Frau gar nicht eingeladen worden.” Mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass die Luft rein war, und führte Abigail zurück auf die Straße. “Übrigens, ich habe über unser gestriges Gespräch nachgedacht, und ich würde Ihnen gern helfen.”
“Wie denn?”, fragte sie argwöhnisch.
“Nun, ich möchte Sie beauftragen, mich zu malen.” Sie schnappte verdutzt nach Luft. Darüber musste er schallend lachen, womit er die Blicke neugieriger Passanten auf sich lenkte. “Warum finden Sie das so verwunderlich? Ich bin ein bedeutender Mann. Höchste Zeit, dass ich mich porträtieren lasse.”
“Meinen Sie das ernst?”
“Allerdings”, versicherte er. “Wenn Sie damit einverstanden sind, müssten Sie uns nächste Woche nach Cavanagh Court begleiten. Aus Gründen, die ich zu einem anderen Zeitpunkt erläutern werde, sehe ich mich gezwungen, unseren Aufenthalt in Bath abzukürzen. Lady Penrose kann mitfahren, falls sie es wünscht, sie ist uns willkommen. Aber ihre Anwesenheit wäre nicht zwingend nötig. Meine Stiefmutter könnte die Rolle Ihrer Anstandsdame übernehmen.”
Als Abigail nicht antwortete, musterte er ihre nachdenkliche Miene.
“Überlegen Sie in aller Ruhe, Abbie, und geben Sie mir am Wochenende Bescheid.”
7. KAPITEL
D er Nachmittag war bereits zur Hälfte vorüber, als die Kutsche von der Hauptstraße abbog und einer Allee folgte. Bald konnte Abbie einen ersten Blick auf Cavanagh Court werfen. Aus honigfarbenem Cotswold-Sandstein errichtet, gehörte das im Tudorstil errichtete Gebäude mit seinen im Sonnenlicht schimmernden Stabwerkfenstern zu den schönsten Landsitzen, die sie je gesehen hatte.
Während sie Kitty und Eugenie zum Eingang folgte, bewunderte sie die gepflegten Gartenanlagen. Dann betrachtete sie wieder das Haus, dessen warme, einladende Atmosphäre sie beinahe magisch anzog. Hier würde sie sich wohlfühlen – nicht zuletzt, weil der Hausherr, der in seiner Karriole vorausgefahren war, ihr lächelnd entgegenkam.
“Hoffentlich
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