Ein Gentleman wagt - und gewinnt
sich seine Einstellung sicher geändert, nicht wahr?”
“Oh ja”, bestätigte Eugenie. “Allmählich begann er mich zu akzeptieren – vor allem seit er in der Armee diente. Wann immer er Urlaub hatte und nach Hause kam, war er sehr freundlich zu mir. Neulich erklärte er sogar, er sei froh, dass ich seinem Vater die letzten Lebensjahre verschönt habe. Trotzdem ist und bleibt er ein autoritärer Mann, und meine zögerliche Art strapaziert seine Nerven.” Gedankenverloren starrte Eugenie vor sich hin. “Wie gern würde ich ihn glücklich verheiratet sehen … Und ich hoffe inständig, seine künftige Gemahlin wird den starken Charakter besitzen, der mir traurigerweise fehlt. Vor allem sollte sie dieses Haus in
ihr eigenes
Heim verwandeln – und keinen Schrein seiner toten Mutter daraus machen, was ich unvernünftigerweise tat.”
Noch immer konnte Abbie sich nicht erklären, weshalb Eugenie ihr derart persönliche Dinge anvertraute. Denkt sie etwa, ich hätte Einfluss auf Barton?, überlegte sie. Dass ich ihn gar veranlassen könnte, das Haus neu zu gestalten? Damit es seiner künftigen Braut erspart bleibt, im Schatten der verstorbenen Elizabeth Cavanagh zu leben? Nun, wenn diese Vermutung zutraf, stand Eugenie eine Enttäuschung bevor. Denn obwohl Abbie sich mittlerweile besser mit Barton vertrug, würde sie sich niemals in Angelegenheiten einmischen, die sie nichts angingen. Sie war hier, um den Hausherrn zu porträtieren – nicht, um sich mit den privaten Sorgen der Familienmitglieder zu befassen.
Es klopfte, und eine Bedienstete betrat das Zimmer. Sie brachte einen Krug mit warmem Waschwasser und ersparte Abbie eine Antwort auf Eugenies Geständnisse. Nachdem die Gastgeberin sie allein gelassen hatte, half die Zofe Abigail, das zerknitterte Reisekostüm mit einem leichten Musselinkleid zu vertauschen. Während sie kurz darauf Abigails leicht zerzaustes schwarzes Haar frisierte, tänzelte Kitty ins Zimmer. Trotz der stundenlangen Fahrt in der geschlossenen Kutsche wirkte sie frisch und munter.
“Wie schnell Sie sich von den Strapazen der Reise erholt haben, Kitty …”, bemerkte Abigail.
“Oh, ich war überhaupt nicht müde. Mama meinte, Sie würden sich vor dem Dinner gern hinlegen. Aber ich erklärte ihr, das sei Unsinn. Sie leiden schließlich noch nicht an Altersschwäche und möchten sich sicher viel lieber das Haus ansehen.”
Genau genommen hätte Abbie eine Ruhepause vorgezogen. Doch sie wollte keine Spielverderberin sein, und so stimmte sie Kittys Vorschlag zu.
Die Besichtigungstour begann in den Schlafgemächern des Ostflügels. Obwohl alle geschmackvoll eingerichtet waren, wirkten sie doch ein wenig verwohnt. In manchen Räumen waren die Tapeten und Vorhänge verblichen. Offenbar war hier jahrelang nichts erneuert worden.
Danach kam der Westflügel an die Reihe. Obwohl Kitty verkündet hatte, ihr Bruder säße in der Bibliothek, war Abbie nicht ganz wohl dabei, die Suite des Hausherrn zu betreten. Im Schlafgemach kehrte ihr Blick mehrmals zum imposantesten Möbel zurück – einem wuchtigen Vierpfostenbett mit burgunderroten Behängen. Erleichtert verließ sie die Zimmerflucht, als Kitty vorschlug, den Küchentrakt aufzusuchen.
“Nun werden Sie die Köchin kennenlernen”, informierte Kitty sie auf dem Weg durch einen langen Korridor. “Miss Figg ist ein wahres Goldstück. Was immer Ihr Herz begehrt, wird sie für Sie zubereiten – vorausgesetzt, sie glaubt, dass es dem Herrn und Meister ebenfalls schmeckt. So wie alle unsere älteren Dienstboten hat sie eine Schwäche für Barton, und seine Wünsche stehen stets an erster Stelle. Gehen wir hier entlang, dann sind wir schneller am Ziel”, entschied sie und öffnete eine Tür, die in ein Treppenhaus führte.
“Ist das die Dienstbotenstiege?”, fragte Abbie und musterte die Steinstufen.
“Ja, sie führt auch zum Dach. Dieser Teil des Hauses ist verhältnismäßig neu. Erst vor etwa vierzig Jahren hat Bartons Großvater mit dem Anbau begonnen. Man kann nur einen Teil des Dachs betreten. Aber der Ausblick ist fabelhaft. Möchten Sie ihn bewundern?”
Bereitwillig folgte Abbie dem Mädchen nach oben. Wieder einmal fiel ihr auf, wie wenig sie über die Familienverhältnisse der Cavanaghs wusste. “Sie sprachen von Bartons Großvater, Kitty, nicht von Ihrem. Also gehören dieses Haus und die Ländereien zu seinem Erbe mütterlicherseits?”
“Das stimmt. Übrigens wurde mein Bruder nach seinem Großvater getauft. Mama erinnert
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