Ein Gentleman wagt - und gewinnt
zu setzen.”
Kitty stieg vom Pferd und flüchtete erleichtert ins Haus, kaum dass sie Josh die Zügel übergeben hatte. Auch Abbie vertraute dem Reitknecht ihre Stute an und schlenderte in Richtung des Gartens. Ob es dem Hausherrn die Sprache verschlug, weil sie die Situation so souverän gemeistert hatte, wusste sie nicht. Doch die eiligen Schritte, die hinter ihr erklangen, überraschten sie genauso wenig wie Bartons erbost gerunzelte Stirn.
“Wie können Sie es wagen, einfach wegzugehen?”, fauchte er. “Obwohl ich mit Ihnen zu reden habe.”
Keineswegs so gefasst, wie sie zu wirken versuchte, blieb sie stehen. Wenn sie ebenfalls die Beherrschung verlor, würde sie alles nur verschlimmern. “Sie wollten nicht mit mir reden, sondern Ihre schlechte Laune an mir auslassen. Noch dazu in Gegenwart anderer. Ihre Schwester und Ihre Stiefmutter sind an Ihre rüpelhaften Manieren gewöhnt und anscheinend bereit, darüber hinwegzusehen. Für mich gilt das nicht. Sie wurden als Gentleman geboren, Barton. Daran sollten Sie sich in Zukunft erinnern. Vor allem im Umgang mit mir.”
In seinem markanten Kinn zuckte ein Muskel. Beinahe glaubte sie zu hören, wie er bis zehn zählte, bevor er antwortete. Eins musste sie ihm immerhin zugutehalten – er packte sie nicht, um sie zu schütteln, was ihm zweifellos eine immense Genugtuung verschafft hätte. Stattdessen fuhr er sich ungeduldig durchs Haar und schaute zum azurblauen Himmel empor. “Falls ich mit meiner etwas zu lautstarken Frage im Stallhof Ihr Zartgefühl verletzt habe, bitte ich Sie um Verzeihung. Aber bedenken Sie, Abbie – unter gewissen Umständen dürfen sogar Gentlemen ihren Emotionen Luft machen. Insbesondere wenn ihre vernünftigen Ratschläge missachtet werden.”
“Ich bin kein Kind mehr, Barton, und durchaus fähig zu entscheiden, ob ich einen Ausritt verkrafte oder nicht. Großer Gott, glauben Sie, ein kleiner Unfall würde mich ans Bett fesseln?” Seine Miene verschloss sich. Da begriff sie, dass mehr hinter seinem Zornesausbruch stecken musste, und berührte seinen Arm. “Was ist los, Barton?”
“Was am Teich geschah, war kein Unfall, Abbie”, erklärte er nach einer langen Pause. Offenbar hatte er überlegt, ob er sie informieren sollte. “Als ich mit Hackman auf der Brücke war, um die vermeintlich morschen Planken zu ersetzen, entdeckte ich, dass das Holz völlig in Ordnung ist, aber an mehreren Stellen angesägt wurde.” Als sie nicht antwortete, musterte er ihr ausdrucksloses Gesicht. “Das scheint Sie nicht zu überraschen.”
Sie ging zu einer Bank und setzte sich. “Nein, eigentlich nicht. Wie Sie mir gestern erzählten, mussten Sie ebenso wie andere Landbesitzer in dieser Gegend schon verschiedentlich Beschädigungen Ihres Eigentums hinnehmen. Offensichtlich haben die Missetäter Sie nach Ihrer Rückkehr aus Bath erneut aufs Korn genommen.”
Eine Zeit lang dachte er nach, ehe er neben ihr Platz nahm. “Der heutige Zwischenfall lässt diesen Schluss nicht unbedingt zu. Wann die Brücke angesägt wurde, wissen wir nicht.”
“Kitty erwähnte, sie sei vor ein paar Tagen darübergegangen. Dabei stieß ihr nichts zu. Außerdem hatte ich, als ich gestern Abend aus dem Fenster schaute, den Eindruck, dass da jemand bei den Bäumen am Teich herumstrich.” Erst jetzt verriet Abigails gerunzelte Stirn, wie sehr sie sich sorgte. “Und ich vermute auch, der Stein neulich ist nicht zufällig heruntergefallen. Kurz zuvor war ich mit Kitty auf dem Dach. Dort entdeckte ich zwar ein paar Risse im Mauerwerk, aber keinerlei lose Steine.”
Die Lippen zusammengepresst, starrte Barton vor sich hin. Bevor er aussprechen konnte, was er von Abbies Eröffnungen hielt, rissen ihn laute Stimmen aus seinen Gedanken. “Was, zum Teufel …”, murmelte er und sprang auf.
Obwohl sie seinen weit ausgreifenden Schritten kaum folgen konnte, eilte sie ihm nach und erreichte gerade noch rechtzeitig den Stallhof, um zu beobachten, wie sich ihr Reitknecht auf Ben Dodd stürzte und ihn mit einem kraftvollen Kinnhaken niederstreckte.
“Verdammt, was geht hier vor?”, rief Barton aufgebracht. Auf eine Erklärung wartete er indes vergeblich.
Dodd richtete sich langsam auf. Ebenso wie Josh wich er dem Blick des Hausherrn aus.
Schließlich wandte sich Barton zu seinem jüngsten Angestellten, der beklommen aus dem Stalltor spähte. “Was soll das alles, Tom?”
Abbie sah, wie der Junge zitterte und unbehaglich zu Dodd hinüberschaute.
“Du hast nichts
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