Ein Geschenk der Kultur
finde, er müßte mein Wohlbefinden etwas ernster nehmen. Schließlich ist das seine Aufgabe.
»Wenn du willst, daß ich aus dir rausgehe und auf eigene Faust weiterlaufe, dann mach ich es«, erkläre ich ihm.
»Das wird nicht nötig sein.«
Ich wünschte, er würde eine Ruhepause vorschlagen. Ich fühle mich wieder schwach und schwindelig, und mir ist nicht entgangen, daß der Anzug den größten Teil der Anstrengung auf sich genommen hat, als wir vom Dach des Lavatunnels abstiegen. Der Schmerz in meinem Bauch ist unablässig da. Wir machen uns also wieder mal daran, über die geröllbedeckte Ebene zu marschieren. Ich habe Lust auf eine Unterhaltung.
»Sag mal, Anzug, hast du dich nicht auch schon gefragt, ob das Ganze die Sache wert ist?«
»Ob welches Ganze welche Sache wert ist?« fragt er, und ich höre wieder diesen herablassenden Ton in seiner Stimme.
»Du weißt schon, das Leben. Ist es den ganzen… Aufwand wert?«
»Nein.«
»Nein?«
»Nein, ich habe mich das noch nie gefragt.«
»Warum nicht?« Ich stelle mit Bedacht nur kurze Fragen, während wir weitermarschieren, um Energie und Atemluft zu sparen.
»Ich brauche mich das nicht zu fragen. Es ist nicht wichtig.«
»Nicht wichtig?«
»Es ist eine irrelevante Frage. Wir leben, das reicht.«
»Aha. So einfach ist das also, ja?«
»Warum nicht?«
»Warum?«
Danach schweigt der Anzug. Ich warte darauf, daß er noch etwas sagt, aber es kommt nichts. Ich lache und wedele mit unseren gemeinsamen Armen. »Ich meine, was soll das alles, Anzug? Was bedeutet das alles?« .
»Welche Farbe hat der Wind? Wie lang ist ein Stück Seil?«
Das muß ich mir durch den Kopf gehen lassen. »Was ist ein Seil?« frage ich schließlich und werde den Verdacht nicht los, daß ich irgend etwas nicht mitbekommen habe.
»Vergiß es. Geh weiter!«
Manchmal wünschte ich, ich könnte den Anzug sehen. Es ist sonderbar, fällt mir jetzt auf, da ich darüber nachdenke, jemanden nicht sehen zu können, mit dem man spricht. Nur diese hohle Stimme, meiner eigenen nicht unähnlich, die in dem Raum zwischen der Innenwand des Helms und der Außenwand meines Schädels erklingt. Es wäre mir lieber gewesen, wenn ich ein Gesicht vor Augen gehabt hätte oder auch nur irgendeinen Gegenstand, auf den ich meine Aufmerksamkeit hätte richten können.
Wenn ich die Kamera noch hätte, könnte ich ein Foto von uns beiden machen. Wenn es hier Wasser gäbe, könnte ich darin unser Spiegelbild betrachten.
Der Anzug hat meine Form, in erweitertem Ausmaß, aber sein Gehirn ist nicht das meine; es ist unabhängig. Das verwirrt mich, aber ich schätze, so ist es sinnvoll. Aber ich bin froh, daß ich mir die Version mit der vollen 1.0-Intelligenz ausgesucht habe; der übliche 0.1-Typ wäre als Gesellschaft völlig untauglich gewesen. Vielleicht wird meine geistige Gesundheit an der Plazierung eines Dezimalpunktes gemessen.
Nacht. Es ist die fünfundfünfzigste Nacht. Morgen wird der sechsundfünfzigste Tag sein.
Wie geht es mir? Schwer zu sagen. Meine Atmung ist sehr mühsam geworden, und ich bin sicher, daß ich abgenommen habe. Meine Haare sind inzwischen lang gewachsen, und mein Bart ist ganz ansehnlich, wenn auch ein wenig struppig. Die Haare fallen mir aus, und ich muß mich winden und verdrehen und kräftig ziehen, wenn ich einen Arm in den Körperraum des Anzugs holen will, um die ausgegangenen Haare in die Abfalleinheit zu stoßen, was ich jeden Abend tue, weil sie sonst jucken. Nachts wache ich wegen der Schmerzen in meinem Innern auf. Sie sind wie ein eigenständiges kleines Lebewesen, tatzelnd und kratzend, um herausgelassen zu werden.
Manchmal träume ich viel, manchmal überhaupt nicht. Das Singen habe ich ganz aufgegeben. Das Land erstreckt sich immer weiter. Ich hatte vergessen, daß Planeten so groß sind. Dieser hier ist kleiner als Standardmaß, und doch scheint er endlos weiterzugehen. Mir ist sehr kalt, und die Sterne bringen mich zum Weinen.
Ich werde von erotischen Träumen gequält, und ich kann nichts dagegen tun. Sie sind ähnlich wie der alte Traum, in dem ich durch ein Raumschiff oder einen Ozeandampfer oder was auch immer gegangen bin… Nur daß in diesem Traum die Leute um mich herum nackt sind und miteinander schmusen, und ich bin unterwegs zu meiner Geliebten… Aber wenn ich dann aufwache und masturbiere, passiert gar nichts. Ich versuche es immer wieder, dabei erschöpfe ich mich aber nur. Vielleicht, wenn der Traum etwas deftiger erotisch gewesen
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