Ein Geschenk von Tiffany
würde gerne Robin sprechen.« Hoffentlich reichte der Vorname; Henry hatte ihr seinen Nachnamen nicht genannt.
Der Bibliothekar starrte sie milde überrascht an. »Und Sie sind …?«
»Na ja, ich heiße Cassie, aber er kennt mich nicht.«
»Robin ist der Leiter der Abteilung für seltene Bücher, Ma’am. Er ist sehr beschäftigt. Kann ich vielleicht helfen?«
»Tja … ich sollte aber unbedingt nach Robin fragen«, sagte sie zögernd, »es steht auf meiner Liste, wissen Sie.«
Sie hielt verlegen besagtes, reichlich zerfleddertes Dokument hoch, das allerdings mehr nach einem Einkaufszettel aussah als nach einem Schriftstück, das die Kraft hatte, den Leiter der Abteilung für seltene Bücher herbeizuzaubern. »Vielleicht könnten Sie ihm ja sagen, dass Henry Sallyford mich herschickt. Sie müssten sich kennen.« Sie zuckte hoffnungsvoll mit den Schultern.
Der Mann stieß ein ungehaltenes Schnauben aus, griff dann aber doch zum Telefon. »Robin, ich bin’s, Doug. Hier ist eine Dame namens Cassie, die dich sprechen will. Sie sagt …« Er legte die Hand über die Sprechmuschel. »Wer schickt Sie noch mal?«
»Henry Sallyford«, flüsterte Cassie.
»Dass Henry Sallyford sie hergeschickt hat. Mhm … mhm … okay.«
Er legte auf und musterte sie erstaunt. »Er kommt gleich.«
»Ach toll, danke!«, sagte Cassie, schob die Hände in ihre Jeanstaschen und wandte sich verlegen von seinen neugierigen Blicken ab.
Sie warteten ein paar Minuten und beobachteten derweil das Kommen und Gehen. Jene, die gingen, wappneten sich gegen die Kälte, und jene, die kamen, klappten dankbar ihre Mantelkrägen herunter und sogen die Wärme in sich auf.
»Cassie? Hallo.«
Sie drehte sich um. Vor ihr stand ein großer, schlaksiger Mann Mitte dreißig mit glattem Haar, das ihm fast bis zur Schulter reichte. »Ich bin Robin.«
»Hallo! Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie schüttelte seine Hand. »Das ist Luke, ein Bekannter.«
Sie bemerkte den Blick, mit dem Luke sie ansah. Sie hatte ihn nicht mehr »ihren Freund« genannt, seit ihr das bei ihren Freundinnen rausgerutscht war.
»Wirklich nett, dass Sie extra für uns rausgekommen sind.« Sie lächelte verlegen. Es war ihr peinlich, ihn bei seiner sicher wichtigen Arbeit zu stören. Und das bloß wegen einer »Anweisung« auf einer Liste. »Äh, das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ein alter Freund von mir, Henry Sallyford, hat gesagt, dass ich herkommen soll und …«
»Ich weiß. Er hat mir gesagt, dass Sie kommen würden.«
»Ach ja?«
Er lächelte. »Folgen Sie mir.«
Sie traten noch einmal an den Infodesk des glatzköpfigen Bibliothekars, und Robin kritzelte etwas auf einen Zettel. Er reichte ihn seinem Kollegen. »Danke, Doug.«
Doug warf einen Blick auf den Zettel und machte ein erstauntes Gesicht.
»Könntest du das bitte erledigen?« Robin nickte ihm zu. Dann führte er sie zu einer Tür und gab einen Nummerncode ein. Sie gelangten in ein Treppenhaus. »Ich hoffe, Sie haben bequemes Schuhwerk an.« Er schaute auf ihre Stiefel. Zum Glück trug sie UGG Boots, wegen des kalten Wetters. »Wir müssen ein bisschen gehen.«
»Ach, glauben Sie mir, meine Fitness hat sich enorm verbessert, seit ich hierhergekommen bin – dank Henry.« Sie lachte.
»Hat Sie wohl überall in der Stadt rumgeschickt, was?«, meinte Robin und führte sie Treppe um Treppe nach unten.
»Kann man wohl sagen.«
Als sie bereits ziemlich tief unten waren, erreichten sie einen riesigen niedrigen Saal.
»Meine Güte, wo sind wir denn hier?«, staunte Cassie.
»Im ausgebauten Lagerbereich unterhalb des Bryant Park.«
»Ich kann nicht glauben, dass ich meinen Fotoapparat nicht dabeihabe«, beschwerte sich Luke, während sie an schier endlosen Reihen dicht stehender Bücherregale vorbeikamen, mit düsteren, schmalen Gassen dazwischen, die sich in der Ferne verloren. »Ich meine, ich gehe eigentlich nirgends ohne einen hin.«
»Ich fürchte, hier hätten Sie ohnehin nicht fotografieren dürfen«, erklärte Robin. »Dieser Bereich ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Viele der Bücher hier müssen unter sorgfältig klimatisierten Bedingungen aufbewahrt werden; ein Blitzlicht könnte ihnen ernsthaften Schaden zufügen.«
»Wie viele Bücher gibt’s denn hier?«, wunderte sich Cassie laut. Es war so anders, so tief unten, als oben im hohen, luftigen Gewölbe des Lesesaals. Immer wieder sah sie Rollkarren voller Bücher zwischen den Regalen stehen, und an einer Wand hing ein
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