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Ein Geschenk zum Verlieben

Ein Geschenk zum Verlieben

Titel: Ein Geschenk zum Verlieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Swan
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um. Sie erkannte die Welt nicht mehr. Unweit von ihr stand ein Lieferwagen in Flammen. Das Hämmern ihres Herzens drang an ihr Ohr. Und in diesem Moment zerplatzte die Blase der Stille, die sie eingehüllt, die sich schwer auf ihre Ohren gelegt hatte, und das Leben – das, was davon noch übrig war – kehrte zurück. Überall Lärm und Schreie.
    Verbogenes, verzerrtes Metall, wo immer sie auch hinblickte, gebrochene Gliedmaßen, zerborstene Fensterscheiben, rauchendes, verbranntes Fleisch. In einiger Entfernung stand eine Straßenlaterne. Sie war umgeknickt wie eine verwelkte Tulpe. Ein paar Motorroller waren hundert Meter weit geschleudert worden wie Spielzeugscooter. Ihre Räder drehten sich noch. An einem grotesk verbogenen Drahtzaun hing eine Hundeleine schlaff herunter. Das, was sich an ihrem Ende befunden hatte, war nirgends zu sehen.
    Die Schreie und Hilferufe nahm sie nur wie aus der Ferne wahr. Das, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, war das leise Ächzen, das Stöhnen und Wispern der Todgeweihten, jener, die bald für immer verstummen würden.
    Sie drehte sich um und erblickte einen jungen Burschen. Heute Morgen, als er sich in Boxershorts vor dem Spiegel rasierte, während seine Freundin noch schlief, hätte er wahrscheinlich behauptet, schon ein Mann zu sein. Er trug einen Motorradhelm, der sein Gesicht teilweise verdeckte. Aber seine Augen konnte sie erkennen. Und seine Augen schauten sie an. Wie jung er war. Höchstens neunzehn, zwanzig. Zu jung für all das hier. Der rechte Arm war ihm abgerissen worden. Das Blut, das zuvor in einer zuckenden Fontäne hervorgeschossen war und sie über und über besudelt hatte, sickerte nur noch in einem dünnen Rinnsal aus der grässlichen Schulterwunde. Still lag er da und starrte sie an. Sie kroch über die Glassplitter zu ihm hin, nahm ihren Schal ab, schob ein Ende unter seinem Nacken hindurch und band seine Schulterwunde ab. Die Stille um sie herum wurde lauter, drückender. Sie legte eine Hand an seine Wange. Eine einzelne Träne rann ihm übers Gesicht.
    Â»Dan.«
    Er hauchte es nur, aber sie brauchte es nicht zu hören, sie konnte es von seinen Lippen ablesen.
    Â»Dan«, wiederholte sie, um ihm zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Sie ließ sich auf den Po sinken und streckte die Beine aus, damit sie seinen Kopf auf ihren Schoß betten konnte. Aber als sie ihn auf ihren Oberschenkel legen wollte, stieß sie einen aufheulenden Schrei aus. Sein Gewicht auf ihrem Bein hatte ihr einen Schmerz tief in den Körper gejagt. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Angst, ja Panik ab. Sie lächelte ihm beruhigend zu. Alles in Ordnung. Sie öffnete die Schnalle seines Helms und nahm ihn behutsam ab. Sein braunes, überraschend langes Haar kam zum Vorschein. Er hatte einen Abdruck auf der Stirn, dort, wo der Helm in die Haut gedrückt hatte. Sie versuchte ihn mit einem sanften Streicheln fortzuwischen. Ein Summen drang aus ihrem Innern hervor, suchte sich seinen Weg durch ihre Lippen. Sanft summend streichelte sie seine Stirn. Um sie herum begann sich der Boden warm anzufühlen, warm und feucht. So saß sie inmitten der Glassplitter, im Schein des brennenden Lieferwagens, den Kopf des Jungen auf ihrem Schoß. Seine Haut fühlte sich kühl an, seine Gesichtsfarbe war grau. Zuckende blaue Lichter näherten sich.
    Â»Da sind sie, Dan«, flüsterte sie ihm zu und drückte tröstend seine kalte Hand. »Gleich bekommen wir Hilfe.« Sie drehte den Kopf und sah einen Schwarm Rettungswagen heransausen. Grün gekleidete Sanitäter sprangen heraus. Sie hielten sich nicht damit auf, ihnen mitfühlende Blicke zuzuwerfen, sondern rannten direkt hinein ins Chaos. Einem von ihnen fiel ihr nasses rotes Haar auf und der blutdurchtränkte Schal, mit dem sie Dans Schulterwunde abgebunden hatte. Er kam angerannt.
    Er ging vor ihnen in die Hocke und legte zwei Finger an die Halsschlagader des Jungen. »Er heißt Dan«, erklärte sie, ihren Schützling nicht aus den Augen lassend.
    Der Mann berührte ihren Arm. »Es tut mir leid«, sagte er, »aber er ist tot.«
    Sie schaute ihn mit großen, verständnislosen Augen an, blinzelte langsam.
    Â»Er ist tot.«
    Â»Nein. Sie sind doch jetzt da.«
    Â»Zu spät. Tut mir leid.«
    Zu spät? Sie schaute auf Dan hinab. Seine Augen starrten blicklos ins Leere, aber die Träne rann noch langsam

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