Ein Geschenk zum Verlieben
über seine Wange.
»Ich muss denen helfen, für die ich noch was tun kann, tut mir leid«, sagte der Sanitäter, nahm seine Tasche und stand auf. »Sie sollten dorthin zu den Wagen gehen und sich versorgen lassen. Sie haben ein paar ziemlich tiefe Schnitte, das muss genäht werden.« Und er rannte davon, hinein ins Chaos.
Sie hatte ihm überhaupt nicht zugehört. Ihr Blick war auf Dan gerichtet. Sie wartete auf die nächste Träne. Aber sie kam nicht. Die erste, einzige und letzte Träne blieb einen Moment zitternd an seinem Wangenknochen hängen, dann fiel sie mit brutaler Endgültigkeit auf den mit Glasscherben bedeckten Boden.
Sie schloss mit den Fingerspitzen behutsam seine Lider, achtete dabei darauf, dass sie seine Haut nicht mit den Glassplittern verletzte, die in ihren Händen steckten. Sein Körper war zerrissen worden, doch sein Gesicht war unversehrt; immerhin ein kleiner Trost für seine Mutter, wenn sie kam, um sich von ihm zu verabschieden. Sie schwor sich, dafür zu sorgen, dass seine Mutter ihr letztes Lebewohl bekommen würde, dass er nicht in der Masse der anonymen Leichen untergehen würde. Sein Name war Dan, und sie war die Einzige, die das wusste. Sie würde hier bei ihm bleiben, bis die Feuer gelöscht, bis die Schreie verstummt waren und jemand kam, um sie abzuholen. »Ich bleibe bei dir, Dan«, versprach sie ihm. »Ich verlasse dich nicht.« Sie streichelte über sein Haar.
Die Lichter blinkten, das Feuer röhrte, stumm schaute sie zu, wie Leute an ihr vorbeigetragen wurden oder taumelnd in den makellos weiÃen Rettungswagen verschwanden. Sie regte sich nicht, nicht einmal, als die Hitze so intensiv wurde, dass ihre Haut Blasen bekam. Ein Blutrinnsal kam auf sie zugekrochen, breitete sich um sie herum aus und hielt sie warm, denn mittlerweile war der Abend hereingebrochen, und die Kälte nahm rapide zu. Sie stellte fest, je länger sie mit Dan hier in den Scherben saÃ, desto sicherer fühlte sie sich. Sie fühlte sich, als würde sie das alles durch eine dicke, schützende Glasscheibe wahrnehmen.
»Alles okay?«, fragte eine Stimme wie aus weiter Ferne. Ein Mann legte seine Hände auf ihre Schultern und musterte sie mit verengten Augen. Sie warf einen Blick an sich hinab. Ihre Kleidung hing in Fetzen von ihrem Körper und flatterte wie Wimpel im scharfen Wind. Ihre Haut strahlte und funkelte. Winzige rote Rinnsale suchten sich zwischen den Splittern ihren Weg und rannen an ihr hinab. Sie wollte einen herausziehen, aber die schmale Hand des Mannes hielt sie davon ab.
»Nein!«, protestierte er. Sie wunderte sich darüber, wie blau seine Augen in seinem ruÃigen Gesicht aussahen. »Einige davon sind ⦠sind ganz schön groÃ.« Er schluckte. Sein Blick hing wie gebannt an einem besonders groÃen Splitter in ihrem Oberschenkel. »Kommen Sie, ich bringe Sie zu einem Krankenwagen. Können Sie noch gehen?« Er schob seine Hände unter ihre Achseln und versuchte sie hochzuziehen, aber sie schüttelte den Kopf.
»Dan.«
Verwirrt schaute er sie an. »Ich bin nicht Dan.«
»Nein.«
Er folgte ihrem Blick zu dem leblosen Körper des jungen Burschen. Ein Zucken ging über sein Gesicht, als er die gähnende Schulterwunde erblickte, wo einmal ein Arm gewesen war.
»Ist das Dan?« Er musterte sie forsch. »Er ist tot.«
Sie schüttelte den Kopf, wandte den Blick nicht von Dan ab. Die Träne war verschwunden, getrocknet. Sie war der einzige Hinweis gewesen auf seine Traurigkeit darüber, schon so früh sterben zu müssen, an einem stillen, schönen Winterabend. »Ich habâs versprochen.«
»Was versprochen? Hören Sie, Sie müssen dringend versorgt werden. Sie bluten heftig.« Er packte ihren Arm, versuchte erneut, sie hochzuziehen. Sie riss sich los und lieà sich wieder zu Boden sinken, zurück auf die Glasscherben. Der Boden fühlte sich wärmer, nasser an, als wäre sie in einer Pfütze gelandet.
»Nein«, sagte sie mit leiser, aber fester Stimme.
Der Mann griff sich kurz an den Kopf, dann erhob er sich. Winkend rief er: »Hierher! Ich brauche Hilfe! Hier!«
Ein Notarzt kam angerannt, ein anderer als der, der zuerst zu ihnen gekommen war. Er sprang über jene, die bereits tot waren, und stellte sofort Fragen. »Was liegt vor?«
»Ihr Bein blutet stark, aber ich krieg sie nicht dazu, diesen
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