Ein Gesicht so schön und kalt
mir gesagt, wer diese Leute
waren. Sie stammen alle aus Alpine, und nachdem Mr. Green
dafür gesorgt hatte, daß ich mir im Zeugenstand wie eine
dumme Gans vorkam, hab’ ich sie alle selber angerufen. Und
wissen Sie was? Keiner von diesen Gästen fuhr mit ›Papas
Auto‹.«
»Papas Auto!« rief Kerry ungläubig aus.
»So hat Michael es genannt. Wissen Sie, er hatte echte
Schwierigkeiten mit Farben. Wenn man ihm ein Auto gezeigt
und ihn gefragt hat, was für eine Farbe es hat, dann konnte er’s
nicht sagen. Aber, egal wie viele Autos da waren, er konnte
immer eins rausfinden, das ihm vertraut war, oder eins, das ihm
wie ein Auto vorkam, das er kannte. Als er damals an dem
Abend
›Papas Auto‹ sagte, muß er auf den schwarzen
viertürigen Mercedes gezeigt haben. Verstehen Sie, er hat seinen
Großvater Papa genannt und ist schrecklich gern mit ihm in
seinem Auto mitgefahren - seiner schwarzen viertürigen
Mercedes-Limousine. Es war zwar dunkel, aber das Außenlicht
am Ende von der Einfahrt der Reardons war an, also hat er’s
deutlich gesehen.«
»Mrs. Bowles, Sie haben ausgesagt, daß Sie den Wagen
gesehen hatten.«
»Ja, obwohl er noch nicht um halb acht dastand, als ich zu
Michaels Haus kam, und als er drauf gezeigt hat, fuhr das Auto
gerade weg, deshalb konnte ich’s mir nicht genau ansehen. Aber
ich hab’ noch eine 3 und ein L auf dem Nummernschild
mitgekriegt.« Dolly Bowles beugte sich vor, und ihre Augen
blickten groß durch die runden Brillengläser. »Ms. McGrath, ich
hab’ versucht, dem Verteidiger von Skip Reardon davon zu
erzählen. Er hieß Farrer - nein, Farrell. Er hat mir gesagt, daß
Sachen, die man vom Hörensagen weiß, normalerweise nicht
zugelassen werden und daß, selbst wenn’s so wäre, ein Beweis
vom Hörensagen, der von einem entwicklungsgestörten Kind
stammt, meine Aussage, daß ich das Auto gesehen habe, bloß
abschwächen würde. Aber er hatte nicht recht. Ich versteh nicht,
wieso ich den Geschworenen nicht hätte erzählen können, daß
Michael ganz aufgeregt wurde, als er dachte, er hätte das Auto
seines Großvaters gesehen. Ich glaube, das hätte geholfen.«
Das leichte Beben in ihrer Stimme schwand. »Ms. McGrath,
ein paar Minuten nach neun Uhr abends fuhr damals ein
schwarzer geschlossener viertüriger Mercedes vom Haus der
Reardons weg. Das weiß ich genau. Definitiv.«
43
Jonathan Hoover fand an diesem Abend keine Freude an
seinem Martini-Cocktail. Normalerweise genoß er diese
Tageszeit, nippte an dem wohlschmeckenden, mit exakt drei
Tropfen
Vermouth verdünnten und mit zwei Oliven
angereicherten Gin, während er in seinem Ohrensessel am
offenen Kamin saß und sich mit Grace über den Tag unterhielt.
Heute abend gab es über seine eigenen Sorgen hinaus ganz
offenbar auch etwas, was Grace bekümmerte. Sollten die
Schmerzen schlimmer als sonst sein, so würde sie es niemals
zugeben, das wußte er. Sie erörterte nie ihren
Gesundheitszustand. Vor langer Zeit hatte er gelernt, keine
weiteren Fragen zu stellen außer ein flüchtiges: »Wie fühlst du
dich, Liebes?«
Die Antwort war unweigerlich: »Gar nicht schlecht.«
Die zunehmend schweren rheumatischen Attacken hinderten
Grace nicht daran, sich mit der ihr eigenen Eleganz zu kleiden.
Neuerdings trug sie immer lange, weite Ärmel, um ihre
geschwollenen Handgelenke zu verbergen, und abends entschied
sie sich, selbst wenn sie allein waren, für fließende lange
Gewänder, die ihre fortschreitend deformierten Beine und Füße
verhüllten.
So wie sie jetzt, von Kissen gestützt, halb liegend auf dem
Sofa ruhte, war die Krümmung ihrer Wirbelsäule nicht zu
erkennen, und ihre leuchtenden grauen Augen hoben sich
wunderschön von dem Alabasterweiß ihres Gesichts ab. Allein
ihre Hände mit den knorrig entstellten Fingern deuteten sichtbar
auf ihr verheerendes Leiden hin.
Da Grace stets bis in den Vormittag hinein im Bett blieb und
Jonathan ein Frühaufsteher war, blieb ihnen der Abend als ihre
gemeinsame Zeit, um zusammenzusitzen und zu plaudern. Jetzt
schenkte Grace ihm ein resigniertes Lächeln. »Ich komme mir
so vor, als würde ich in den Spiegel schauen, Jon. Dir setzt auch
etwas zu, und ich könnte wetten, daß es dasselbe ist, was dich
schon vorher aufgeregt hat, also laß mich anfangen. Ich hab’ mit
Kerry geredet.«
Jonathan hob die Augenbrauen. »Und?«
»Ich fürchte, sie hat nicht die Absicht, den Reardon-Fall auf
sich beruhen zu
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