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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Gefängnissen in Malaga und Sevilla, den größten Teil davon in Einzelhaft und in der Erwartung, daß man mich bald erschießen würde. Als ich im Juni 1937 auf Grund einer Intervention der britischen Regierung überraschend freigelassen wurde, war weder mein Haar ergraut, noch hatten sich meine Gesichtszüge verändert; aber ich hatte mit einer neuen Art von Wirklichkeit Bekanntschaft gemacht, die mein ganzes Denken und alle meine Wertmaßstäbe umstürzte, und zwar so gründlich und unbewußt, daß ich dessen in den ersten Tagen der wiedergewonnenen Freiheit gar nicht inne wurde. Die für diesen Wandel verantwortlichen Erlebnisse waren Furcht, Mitleid und ein drittes Element, das sich viel schwerer beschreiben läßt. Meine furcht galt nicht dem Tode an sich, sondern den demütigenden, unerfreulicheren Formen des Sterbens – mein Gefängnisgefährte Garcia Atadell, mit dem ich oft im Patio spazierengegangen war, wurde kurz nach meiner Freilassung mit der spanischen Garrotte erdrosselt. Das Mitleid galt den kleinen andalusischen und katalanischen Bauern, die ich weinen und nach ihrer malre rufen hörte, wenn sie des Nachts hinausgeführt wurden, um erschossen zu werden. Das dritte Erlebnis schließlich war ein Geisteszustand, den man gewöhnlich mit Ausdrücken aus dem Sprachschatz des Mystizismus belegt und der sich ganz unerwartet einzustellen und mich mit einem inneren Frieden zu erfüllen pflegte, wie ich ihn nie zuvor gekannt hatte und auch später nie wieder erlebte.
    Die Lehre, die man aus dieser Art Erlebnis zieht, erscheint, sobald man sie in Worte kleidet, immer im fahlen Gewand der ewigen Gemeinplätze: daß der Mensch eine Realität ist und die Menschheit eine Abstraktion; daß man Menschen nicht als Zahlen in einer politischen Gleichung behandeln kann, weil sie sich wie die Zeichen für Null oder Unendlich verhalten, die alle mathematischen Berechnungen aus den Fugen bringen; daß der Zweck die Mittel nur innerhalb sehr enger Grenzen heiligt; daß die Ethik nicht nur eine Funktion sozialer Nützlichkeit ist und Nächstenliebe kein kleinbürgerliches Sentiment, sondern die Gravitationskraft, die jede Zivilisation zusammenhält. Nichts muß platter klingen, als wenn man ein Erlebnis, das sich schon seiner Natur nach jedem sprachlichen Zugriff entziehen muß, in Worte zu fassen versucht; und dennoch war jeder einzelne dieser trivialen Gemeinplätze unvereinbar mit dem kommunistischen Glauben.
    Würde es sich hier um einen Roman handeln, so müßte er hier enden; der Held hat einen geistigen Wandel durchgemacht, sagt seinen bisherigen Genossen Valet, um mit einem heiteren Lächeln seine eigenen Wege zu gehen. In Wirklichkeit wußte ich bei meiner Freilassung noch gar nicht, daß ich kein Kommunist mehr war. Nachdem mich die Guardia Civil bei Gibraltar über die Grenze abgeschoben hatte, war meine erste Handlung, ein Telegramm an die Partei zu schicken, das mit Schillers Worten: „Seid umschlungen, Millionen ..." begann. Was noch merkwürdiger ist, ich fügte dem Worte hinzu. ,,.., von allen Bauchschmerzen geheilt." Mit „Bauchschmerzen" bezeichneten wir im Parteijargon alle Zweifel an der Richtigkeit der Parteilinie.
     
     
    Anfang vom Ende
     
    Es war eine kurze Euphorie. Ich verbrachte drei Monate bei Freunden in England und schrieb dort mein Buch über Spanien; dann aber – nach einer für den News Chronicle unternommenen kurzen Reise nach dem Mittleren Osten, die keinen Anlaß zu Differenzen mit der Partei bot – begann der Konflikt. Sein Ablauf war durchaus undramatisch. Ich machte für den Left Book Club eine Vortragsreise durch England; sobald ein Fragesteller unter meinen sich vorwiegend aus Kommunisten zusammensetzenden Zuhörern um Einzelheiten über die „verräterische Tätigkeit" der POUM bat – einer unabhängigen, linksradikalen spanischen Splittergruppe mit trotzkistischen Tendenzen, die von der Partei als „Agentur Francos" bezeichnet wurde —, gab ich zur Antwort, daß ihre starre Politik zwar schädlich für die Sache sein mochte, daß sie aber keineswegs aus Verrätern bestehe. Erstaunlicherweise ließ man dies durchgehen; die englische Kommunistische Partei war in diesen Dingen von einer schon berüchtigten Nachlässigkeit und meldete ideologische Abweichungen nur selten an die höheren Instanzen weiter.
    Dann erfuhr ich, daß im Zusammenhang mit den Massensäuberungsaktionen in Sowjetrußland mein Schwager und zwei meiner engsten Freunde verhaftet worden waren. Alle drei

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