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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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hinterlassen, für den Fall, daß der Tod mich ereilen sollte, ehe ich Zeit gefunden habe, mich besser auszudrücken."
     
    Gide ging im Juni 1936 nach Rußland, voll hochgespannter Erwartungen und Hoffnungen, die indessen schon sehr bald enttäuscht werden sollten. Bei seiner Rückkehr sagte er: „Mein sowjetisches Abenteuer ist von Tragik umwittert: ich kam als überzeugter und begeisterter Anhänger nach Rußland, willens und bereit, eine neue Weltordnung zu bewundern, und man versuchte mich mit all den Vorteilen und Privilegien zu gewinnen, die ich an der alten Weltordnung verabscheue."
    Nicht auf dem Wege über Marx, sondern durch die Evangelien hatte Gide zum Kommunismus gefunden; in Sowjetrußland selbst verspürte er wenig von dem Geist, den er meinte und suchte. überall feierte man ihn, denn er war ja ein kostbarer Gewinn für die kommunistische Sache, der größte lebende Schriftsteller Europas, überdies ein Mann, dessen Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit allgemein bekannt waren. Man überschüttete ihn mit allen Privilegien, die eine dekadente Zivilisation zu vergeben hat, aber Gide brauchte keine Beweihräucherung, und er war nicht um materieller Vorteile willen in die Sowjetunion gegangen. überall sah er die Kluft, die den Bevorzugten von dem Entrechteten scheidet, überall traf er auf die Versklavung des Geistes, gegen die er sich in Europa aufgelehnt hatte. Die Bücher, die er nach seiner Heimkehr schrieb – „Retour de l'U.R.S.S." und „Retouches ä mon Retour de l'U.R.S.S." (beide bei Gallimard, Paris) —, zeigen das Maß seiner Enttäuschung und Ernüchterung.
     
    Enid Starkie

ANDRE GIDE
     
     
    Homer erzählt, wie die große Göttin Demeter auf der Suche nach ihrer Tochter Persephone an den Hof des Königs Keleos von Eleusis kam. Sie war als Amme verkleidet, und niemand erkannte sie. Ein neugeborenes Kind, der Knabe Demophon, wurde ihrer Obhut anvertraut. Nacht für Nacht, wenn das ganze Haus schlief, schloß Demeter sorgsam alle Türen und nahm den Säugling aus seiner weichen, warmen Wiege auf. Scheinbar voller Grausamkeit, in Wirklichkeit von inniger Liebe beseelt und von dem heißen Wunsche getrieben, Demophon in einen Gott zu verwandeln, bettete sie den nackten Knaben auf ein Lager glühender Kohlen, sich zärtlich über ihn neigend, als sei ihr wohlgestalter Pflegling die Inkarnation der zukünftigen Menschheit. Der Knabe widerstand der Hitze des glühenden Kohlenbettes und ging über alle Begriffe stark und herrlich aus dieser Feuerprobe hervor. Aber Demeter konnte ihr kühnes Werk nicht vollenden: wie die Sage berichtet, stürzte Metaneira, die Mutter des Kindes, von jäher Angst gepackt, eines Nachts in Demophons Zimmer. Die Göttin beiseitestoßend, zerstreute sie die glühenden Kohlen und vernichtete damit all die dem Säugling verliehenen übermenschlichen Tugenden und Kräfte. Den Sohn zu retten, opferte sie den Gott.
    Vor einigen Jahren schrieb ich von meiner Liebe und Bewunderung für die Sowjetunion, die sich an einem einzigartigen Experiment versuchte. Bei dem bloßen Gedanken daran entbrannte mein Herz in heißer Erwartung: ich erhoffte von diesem Unternehmen einen ungeheuren Fortschritt, einen Impuls, der die gesamte Menschheit mir sich fortreißen würde. Wenn man Zeuge einer solchen Wiedergeburt werden und ihr sein Dasein weihen konnte, lohnte es sich wahrhaftig zu leben. Im Namen der zukünftigen Kultur machte ich im Innern entschlossen das Schicksal der Sowjetunion zu dem meinen.
    Vier Tage nach meiner Ankunft in Rußland äußerte ich bei den Beerdigungsfeierlichkeiten für Gorki auf dem Roten Platz in Moskau, daß meiner Auffassung nach das Los der Kultur eng mit der Zukunft der Sowjetunion verknüpft sei. „Die Kultur", so sagte ich „, ist lange Zeit das Vorrecht einer begünstigten Klasse gewesen. Um kultiviert zu sein, brauchte man Muße: eine Menschenklasse quälte sich ab, um einer sehr kleinen Zahl den Genuß des Lebens, der Bildung zu ermöglichen; und der Garten der Kultur, der schönen Wissenschaften, der Künste blieb ein Privateigentum, zu dem nicht etwa die Klügsten, Fähigsten Zutritt hatten, sondern nur die, die sich seit ihrer Kindheit vor jeglichem Mangel bewahrt gesehen hatten. Unverkennbar war, daß Intelligenz den Reichtum nicht notgedrungen begleitete. Ein Molibre, ein Diderot, ein Rousseau waren aus dem Volk hervorgegangen; aber ihre Leserschaft bestand nach wie vor aus Leuten, die Zeit hatten.
    Als die große Oktoberrevolution die

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