Ein Grausames Versprechen
die Akte über Alan Harvey und schloss sie dann wieder. »Wenn wir Drysdale dieses Standfoto von dem Band zeigen würden, wüssten wir mit Bestimmtheit, ob Werner vor sechs Monaten hier war.«
»Harvey ist eine genauso wertvolle Spur.«
»Nein«, sagte Ella. »Harvey ist nur eine Sache, die überprüft werden muss.«
Murray bog hübsch langsam um eine Ecke. »Du bist so ungeduldig.«
Das ignoriere ich. Ella klappte den Ordner wieder auf und begann ihn durchzublättern. »Schau dir dieses ganze Zeug an.«
Murray warf einen Blick hinüber.
»Wir haben Alan Harveys Führungsakte - eine Festnahme wegen ordnungswidrigen Verhaltens und Widerstands gegen die Staatsgewalt im Jahr 1979. Wir haben den Autopsiebericht über Karen Harvey und die Krankenhausberichte über ihren verwundeten Sohn. Wir haben den vollständigen Unfallbericht einschließlich Kopien der Fotos, wir haben Zeugenaussagen von Hinz und Kunz. Wir haben sogar eine Kopie der Versicherungsdokumente, in denen der Inhalt von Kennedys Lieferwagen und was davon beschädigt wurde, aufgelistet ist.« Ella fuhr die Liste mit dem Finger entlang. »Hier steht, Kennedy hat verschiedene Dinge an einen Floristen geliefert - ein Karton Ziervasen, die zu Bruch gingen, zwei Kartons von etwas, das sich Oase nennt - unbeschädigt, zwei Rollen Kunststofffolie und je eine violettes und rosa Papier - unbeschädigt. Dann an einen Spielzeugladen zwei Kartons Schneekugeln - unbeschädigt, ein Karton kleine Plastikpuppen und einer mit verschiedenen Kinderkostümen - dito. Und an ein Ärztezentrum ein Karton Verbandspäckchen, Schachteln mit Nadeln und Spritzen verschiedener Größe, Gläser für Urinproben …«
»Nett.«
»… alles unbeschädigt. Keine Computer oder Teile davon.«
»Jedenfalls nicht auf der Liste.« Murray verlangsamte und sah an den Häusern entlang. »Welche Nummer ist es?«
»Dreißig.«
Das Haus war klein und adrett, das weiß gestrichene Holz stand in hübschem Kontrast zu den roten Ziegeln. Murray parkte ein kleines Stück weiter, und Ella klappte die Akte zu, ehe sie aus dem Wagen stieg.
Die Sonne brannte heiß, aber im Schatten von Harveys Veranda war die Luft kühler. Ella klopfte an die Tür und wartete.
Man hörte, wie Schlösser geöffnet wurden, dann ging die Tür auf. Der Mann, der aus dem Eingang blickte, wirkte älter als seine siebenundvierzig Jahre. »Ja?«
»Mr. Alan Harvey?«
»Ja.«
»Ich bin Detective Ella Marconi, und das ist Detective Murray Shakespeare. Dürfen wir hereinkommen?«
»Darf ich fragen, warum?«
»James Kennedy ist tot«, sagte sie.
»Und inwiefern hat das mit mir zu tun?«
»Es wäre besser, wenn wir uns im Haus unterhalten könnten.«
Er zögerte einen Moment, dann zuckte er die Achseln.
Das Rattansofa im Wohnzimmer knarrte, als Ella und Murray Platz nahmen. Alan Harvey setzte sich in einen Einzelsessel gegenüber, blickte jedoch an ihnen vorbei auf den dunklen Fernseher. Ella wandte den Blick und sah die Familienbilder auf dem Gerät aufgereiht. Die Frau, die ihre Arme um die beiden kleinen Jungen legte, hatte ein strahlendes Lächeln.
»Sie wissen, wer Kennedy ist?«, sagte Ella für alle Fälle.
»Natürlich.«
»Es scheint Sie nicht zu überraschen, dass er tot ist«, sagte Murray.
»Der Mann ist gefahren wie ein Verrückter«, erwiderte Harvey. »Es war nur eine Frage der Zeit.«
»Er starb nicht bei einem Autounfall«, sagte Ella. »Er wurde auf offener Straße niedergestochen.«
»Oh.« Wieder dieser Blick auf die Fotos.
»Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?«, fragte Murray.
»Hatte er Familie?«
Ella nickte.
»Dann ist es tragisch, egal, was ich persönlich von dem Mann halten mag.«
Hinter ihnen war ein Geräusch zu hören. Ella blickte sich um und sah einen etwa zwölfjährigen Jungen im Eingang stehen. Sein Kopf war teilweise rasiert, und eine Reihe von Klammern war auf der linken Schädelseite sichtbar.
»Evan, geh bitte wieder ins Bett«, sagte Harvey.
»Aber ich habe Hunger.«
»Geh«, sagte Harvey. »Ich bringe dir gleich etwas nach oben.«
Der Junge drehte sich um und ging. Ella wartete einen Moment, aber Harvey sagte nichts. »Mr. Harvey«, fragte sie schließlich, »wo waren Sie am Dienstagabend zwischen halb neun und neun?«
»Ich war hier.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Meine Söhne waren ebenfalls hier, sie haben schon geschlafen.«
»Sonst niemand?«
Er deutete zur Tür. »Das ist mein Sohn Evan. Er hat bei dem Unfall, den Kennedy verursacht hat, eine
Weitere Kostenlose Bücher