Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
erschienen, aber sie haben irgendwelche Nachrichten erhalten. Dir werden sie es erzählen, du kannst beruhigt sein, aber frage sie nicht aus, wenn du klug bist; Mama ist todtraurig. Ich habe auch nichts gefragt. Adieu.«
    Sie öffnete die Tür.
    »Lisa, hast auch du nicht irgend etwas?« Ich war ihr in den Flur gefolgt. Ihre todtraurige, verzweifelte Miene traf mich mitten ins Herz. Sie warf mir einen nicht nur bösen, sondern beinahe grimmigen Blick zu, lächelte gallig und winkte mit der Hand ab.
    »Wenn er stürbe – sollte man Gott danken!« rief sie schon von der Treppe aus und ging. Damit meinte sie den Fürsten Sergej Petrowitsch, der im Augenblick mit hohem Fieber bewußtlos lag. “Ewige Geschichte! Was für eine ewige Geschichte?” dachte ich herausfordernd, und plötzlich überkam mich der dringende Wunsch, ihnen wenigstens einen Teil meiner gestrigen Eindrücke von seiner nächtlichen Beichte, aber auch seine Beichte selbst zu erzählen. “Sie denken jetzt Schlechtes über ihn, dann sollen sie auch alles erfahren!” ging es mir durch den Kopf.
    Ich weiß noch, daß es mir irgendwie gelang, meine Erzählung sehr geschickt zu beginnen. Augenblicklich zeigte sich auf ihren Gesichtern eine entsetzliche Neugier. Diesmal verschlang mich auch Tatjana Pawlowna mit ihren Blicken; Mama aber war zurückhaltender; sie war sehr ernst, aber ein leichtes, wunderschönes, wenn auch irgendwie ganz hoffnungsloses Lächeln erhellte ihr Gesicht und blieb fast die ganze Zeit meiner Erzählung. Ich sprach natürlich positiv, wiewohl ich wußte, daß es für sie beinahe unverständlich war. Zu meinem Erstaunen hörte Tatjana Pawlowna gelassen zu, bestand nicht auf Genauigkeit, verzichtete auf das Kreuzverhör, wie es sonst, kaum daß ich begonnen hatte, ihre Gewohnheit war. Sie preßte nur hin und wieder die Lippen fest aufeinander und kniff die Augen zusammen, als könne sie nur mit Mühe folgen. Ab und zu hatte ich den Eindruck, sie würde alles verstehen, aber das war so gut wie ausgeschlossen. Ich sprach beispielsweise über seine Überzeugungen, aber vor allem von seiner gestrigen Begeisterung, von seiner Bewunderung für Mama, von seiner Liebe zu Mama, und davon, wie er ihr Porträt geküßt hatte … Als sie das hörten, wechselten sie schweigend einen raschen Blick, und Mama wurde über und über rot, obwohl beide auch weiterhin stumm blieben. Und dann … dann war es unmöglich, in Mamas Gegenwart auf den Hauptpunkt zu kommen, das heißt auf die Begegnung mit ihr und auf alles, was damit zusammenhing, auf die Hauptsache, ihren gestrigen Brief an ihn und seine moralische »Auferstehung« nach diesem Brief; und das war ja eben die Hauptsache, so, daß alle seine Gefühle von gestern, mit denen ich Mama zu erfreuen gedachte, natürlicherweise unverstanden bleiben mußten, wenn auch natürlich nicht durch meine Schuld, denn alles, was ich erzählen konnte, habe ich ausgezeichnet erzählt. Als ich geendet hatte, war ich völlig ratlos; ihr Schweigen dauerte an, und ich konnte nun ihre Gegenwart sehr schwer ertragen.
    »Er ist jetzt gewiß zurückgekehrt, aber vielleicht sitzt er bei mir und wartet«, sagte ich und erhob mich, um zu gehen.
    »Geh doch, geh!« bestätigte Tatjana Pawlowna entschieden.
    »Bist du denn schon unten gewesen?« fragte Mama beim Abschied halblaut.
    »Ja, ich war dort, ich habe mich vor ihm verneigt und für ihn gebetet. Was für ein ruhiges, was für ein wohlgestaltes Antlitz, Mama. Haben Sie Dank, Mama, daß Sie an seinem Sarg nicht gespart haben. Ich habe mich zuerst gewundert, dann aber sogleich gedacht, daß ich genauso gehandelt hätte.«
    »Kommst du denn morgen in die Kirche?« fragte sie, und ihre Lippen zitterten.
    »Aber ich bitte Sie, Mama!« wunderte ich mich. »Ich werde auch heute zum Totenamt kommen, und noch einmal; und … und außerdem haben Sie morgen Geburtstag, Mama, meine liebe, meine beste Freundin! Er hätte nur drei Tage warten sollen!«
    Ich verließ sie in schmerzlicher Betroffenheit: Wie war es möglich, eine solche Frage zu stellen – ob ich zum Totenamt in die Kirche käme oder nicht? Und das bedeutete: Wenn sie so über mich denken – was werden sie dann über ihn denken?
    Ich wußte, daß Tatjana Pawlowna mir nachlaufen würde, und blieb wohlbedacht in der Wohnungstür stehen; sie tat es auch, stieß mich aber sofort ins Treppenhaus hinaus, folgte mir und zog die Tür hinter sich zu.
    »Tatjana Pawlowna, bedeutet das, daß Sie weder heute noch morgen mit

Weitere Kostenlose Bücher