Ein guter Jahrgang-iO
waren.« Er starrte auf den Tisch, drehte die Kappe in seinen Händen. »Doch aus dem einen oder anderen Grund war der Augenblick für eine solche Investition nie günstig; nächstes Jahr, pflegte er zu sagen, das machen wir nächstes Jahr. Es gab eine Parzelle, nämlich das Stück Land hinter der Mauer, wo sich ein guter Wein anbauen ließ, wie ich glaubte.« Er hielt inne, schüttelte den Kopf und korrigierte sich. »Nein, ich war mir sicher. Die Voraussetzungen waren perfekt: der richtige steinige Boden, ausreichend Sonne, ein Hang mit dem richtigen Neigungswinkel und der richtigen Größe. Ich machte Ihren Onkel darauf aufmerksam - das war vor mehr als fünfzehn Jahren -, aber er hatte kein Interesse oder kein Geld mehr übrig, nachdem das Dach ausgebessert worden war; immer kam etwas anderes dazwischen. Schließlich beschloss ich, die alten Rebstöcke herauszureißen und neue anzupflanzen, auf eigene Kosten. Ludivine und ich hatten ein wenig Geld gespart.« Er blickte Max schweigend an, mit hochgezogenen Brauen, wartete auf eine Reaktion.
»Damit haben Sie dem alten Knaben gewiss eine große Freude gemacht.«
Roussels Hände strangulierten immer noch das Käppchen. »Schon, wenn er genau gewusst hätte, was mir vorschwebte. Er dachte, es seien ganz gewöhnliche Rebstöcke, aber ich wollte etwas Besseres, etwas Besonderes. Er hatte keine Ahnung, dass ich dort den besten Cabernet Sauvignon und ein wenig Merlot anbaute. Niemand wusste davon. Solche Dinge sind in Frankreich ziemlich kompliziert. Die gesetzlichen Bestimmungen, die Kontrollinstanzen des Landwirtschaftsministeriums, die sich in alles einmischen und verlangen, dass über jeden Zweig und jedes heruntergefallene Blatt Meldung erstattet wird.« Er zuckte die Achseln. »Ein Ding der Unmöglichkeit. Es war einfacher, den Mund zu halten.«
Ohne Vorwarnung sprang er auf, nahm die Glasspritze und ging zu einem der Fässer. Er schlug den Stöpsel aus dem Spundloch, führte die Spritze ein und zapfte eine Handbreit Wein ab. Nachdem er zum Tisch zurückgekehrt war, drückte er behutsam den Gummiballon zusammen und füllte beide Gläser zur Hälfte, bevor er eines gegen das Licht hielt.
»Bon. Nur zu. Kosten Sie. Aber denken Sie daran, dass er noch jung ist.«
Max nahm das Glas entgegen und war sich der durchdringenden Blicke Roussels und seiner eigenen Unzulänglichkeit als Weinkenner bewusst. Doch sobald sich der Wein in seinem Mund befand und starke, köstliche Signale an seinen Gaumen übermittelte, wurde sogar ihm klar, dass sich dieser Tropfen gewaltig von den gewöhnlichen Luberon-Weinen unterschied. Er wünschte, er hätte sich an einige Begriffe aus Charlies plakativem Wortschatz erinnern können. Er war so beeindruckt, dass er zu spucken vergaß.
»Nicht zu fassen.« Er prostete Roussel zu. »Hut ab.«
Roussel schien ihn kaum zu hören. »Niemand sonst hier unten erzeugt einen solchen Spitzenwein. Aber mir war klar, dass es ein Problem gab: ich konnte ihn nicht verkaufen - zumindest nicht auf legalem Weg, weil die Cabernet- und Merlot- Rebsorten nicht als solche ausgewiesen waren. Deshalb bat ich Maître Auzet um Rat, ich dachte, sie sei in der Lage, eine kleine Lücke im Gesetz zu finden. Wenn das jemand schafft, dann sie; sie ist unheimlich schlau.« Er nahm einen Mund voll Wein und kaute ein paar Sekunden darauf herum, bevor er ihn in die Abflussrinne spuckte. »Damit fing es an. Statt der Gesetzeslücke fand sie einen Käufer; einen, der den gesamten Ertrag abnimmt, Jahr für Jahr, und bar bezahlt - gutes Geld, kein Papierkram, keine Steuer, keine Fragen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Meine Frau, meine Tochter, meine Altersversorgung...« Er sah Max mit der bekümmerten, schuldbewussten Miene eines alten Jagdhundes an, der mit einem unerlaubten Lammkotelett in flagranti erwischt wird.
Max lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während ihm nach und nach dämmerte, was sein Gegenüber soeben offenbart hatte: Nathalie Auzet, notaire und négociante. Kein Wunder, dass sie so gut betucht aussah. »Wer ist der Käufer?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn nie kennen gelernt. Nathalie meinte, das sei nicht nötig.«
»Und wohin geht der Wein? Nach Paris, Deutschland, Belgien?«
Roussel schüttelte den Kopf. »Wer weiß das schon? Der LKW kommt ein Mal im Jahr - im September, kurz bevor ich mit der vendange beginne, und immer nach Einbruch der Dunkelheit. Der Wein vom Vorjahr wird aus den Fässern in den Tank gepumpt, und in der darauf
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