Ein guter Mann: Roman (German Edition)
meisten Teilnehmer verließen den Raum schweigend.
Müller blieb sitzen, weil er durch das Gehörte verwirrt war, weil das alles zu dem Achmed, den er kannte, nicht zu passen schien, weil es unvorstellbar war, dass Achmed auf einer deutschen Bundesstraße mit ungeheurer Brutalität einen tödlichen Stoff geraubt haben sollte.
Er sah zu Krause hinüber und sagte dumpf: »Das alles will mir nicht in den Kopf. Das passt nicht zu meinem Achmed, das ist ein anderer Achmed.«
Willi Sowinski lächelte. »Ich habe schon einmal auf Bargeld verwiesen. Wir sollten das nicht außer Acht lassen.«
Sie waren jetzt allein.
»Kann es denn nicht sein, dass diese Gangster das radioaktive Zeug geklaut haben, um es schlicht wieder zu verkaufen?«, fragte Müller.
»Damit wären wir beim Bargeld«, sagte Sowinski.
»Natürlich kann so etwas hinter dem Raub stecken«, sagte Krause. »Ich habe mich einmal schlau gemacht, was die wirtschaftliche Seite der Sache angeht. Kliniken, in denen Tumore bestrahlt werden, erhalten dieses Kobalt 60 in verschiedenen Formen. Generell sind es tennisballgroße Klumpen des Metalls oder aber winzige Kügelchen etwa von der Größe, wie wir sie bei Süßstofftabletten finden. Das Teuflische für den Laien ist, dass die winzigen Kügelchen exakt die gleiche Strahlkraft haben wie die Tennisbälle. Verschiedene Bestrahlungsgeräte erfordern unterschiedliche Massen des Metalls. Im Grunde ist der Bestrahlungsvorgang einfach: Das Kobalt 60 wird in eine riesige, massive Bleihülle gepackt. Diese Hülle hat ein einziges, winziges Loch. Das Loch wird auf den zu tötenden Tumor gerichtet, um möglichst wenig gesundes Gewebe zu zerstören. Ein Kügelchen von der Größe einer Süßstofftablette kostet ungefähr vierhundert Euro, misst vier bis sechs Millimeter im Durchmesser und wiegt fünf Gramm. Hochgerechnet auf unsere vier Tennisbälle, die geraubt wurden, bedeutet das, die Räuber haben Kobalt 60 im Wert von rund hundertsechzigtausend Euro erbeutet. Aus dieser Sicht also eine wirklich lohnende Sache. Aber mich überzeugt die wirtschaftliche Motivation nicht. Denn gerade in diesem Fall taucht sofort die Frage auf, warum man dann einen Syrer unter so komplizierten Bedingungen nach Berlin holt. Mir verrät das eine weitergehende Planung. Hat Achmed eigentlich Ahnung von Physik, von Chemie, von Nuklearwissenschaften?«
»Hat er«, bestätigte Müller dumpf. »Er interessiert sich grundsätzlich für Naturwissenschaften, der Kerl hat alles drauf, was man sich wünscht. Er hat mir mal in zwanzig Minuten Einstein erklärt, und er war dabei so begeistert, dass er wirkte, als habe er die allgemeine Relativitätstheorie gerade neu erfunden. Er begründete es so: Meine Söhne werden mir Fragen stellen, und ich will niemals antworten müssen, dass ich keine Ahnung habe. Ob er über Kenntnisse verfügt, die radioaktive Stoffe betreffen, weiß ich nicht.«
»Aber es wäre sehr gut, wenn wir es genauer wüssten«, sagte Krause. »Und jetzt taucht die Frage auf, was die Gangster noch alles mit dem Kobalt 60 anstellen können.«
»Sie können erpressen«, sagte Müller schnell. »Politisch erpressen. Sie sind Terroristen.«
»Sie können eine schmutzige Bombe bauen«, fügte Sowinski hinzu. »Vor Jahren schon stand im britischen Independent , dass Nuklearwissenschaftler befürchten, Terroristen könnten radioaktive Stoffe auf eine herkömmliche Sprengladung packen und sie hochgehen lassen. Zum Beispiel Cäsium 137, das ebenfalls zur Bestrahlung benutzt wird, das aber im Vergleich zu Kobalt 60 ein geradezu harmloser Stoff ist. Da gab es üble Zwischenfälle sowohl in den USA als auch in den ehemaligen sowjetischen Staaten. Bei Kobalt 60 haben wir es mit harter Gammastrahlung zu tun.«
»Wie wirkt diese Strahlung?«, fragte Krause.
»Na ja«, antwortete der Leiter Operative Sicherheit, »mein Wissen ist nicht gerade umfassend. Aber diese Gammastrahlung wirkt genau so, wie Krebspatienten es schildern. Diese Leute kotzen sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, die Haare fallen ihnen aus, der Zustand verschlechtert sich immer mehr. Eine Überdosis führt schnell zum Tod. Genau das ist den Opfern von Tschernobyl passiert, die den GAU nur um Stunden überlebt haben.«
»Das würde Achmed nie tun«, sagte Müller wütend.
»Verdammt noch mal!«, fuhr Krause hoch. »Sie müssen doch endlich zur Kenntnis nehmen, dass Achmed möglicherweise einen Weg geht, der vor zwei Tagen noch unvorstellbar war. Auf jeden Fall traf er
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