Ein guter Mann: Roman (German Edition)
hier in Berlin auf Mitglieder der Dolgos. Das sind harte russische Gangster, und niemals hätten Sie Achmed damit in Verbindung gebracht. Irgendetwas ist passiert, und wir wissen immer noch nicht genau, was. Aber wir müssen es herausfinden. Unser Präsident wird so sicher wie das Amen in der Kirche ins Bundeskanzleramt gerufen und muss Auskunft geben. Und wir müssen ihm die Fakten beschaffen und können nicht sagen: Das hätten wir uns bei Achmed nicht träumen lassen.« Er stand auf, ging an das große Fenster und starrte hinaus.
»Sie werden jetzt in die Charité fahren, mein Lieber. Beide Fahrer sind dorthin geflogen worden und warten auf die großen Operationen. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt bei Bewusstsein sind, ich weiß nur, dass einer von ihnen von einem kleinen schmalen Mann mit einem Laptop gesprochen hat. Und dieser eine heißt Stahlmann und hat möglicherweise Achmed beschrieben. Niemand weiß, dass die Fahrer hier in Berlin sind, niemand darf das wissen. Ich ebne Ihnen den Weg.« Er zuckte hilflos die Achseln. »Ich weiß, dass es nahezu geschmacklos ist, Sie in dieser Situation um so etwas zu bitten, aber ich habe keine andere Wahl.«
»Das geht schon in Ordnung«, sagte der brave Soldat Müller.
Zwischenspiel
Die Scheune hatte eine ideale Lage. Sie war in eine Geländefalte gebaut worden und von keiner Seite aus zu sehen, weder von den Feldwegen her noch von den Landstraßen. Es kam hinzu, dass auf dem oberen Rand der Falte Weidendickicht stand und auf dem unteren Stück, dicht vor den Schwemmsteinmauern, Pappeln. Niemand käme auf die Idee, hier eine Scheune zu suchen.
Pjotr hatte das bei einem kurzen Besuch vor vier Wochen festgestellt und mit Freude vermerkt, dass unmittelbar neben der Scheune eine normale Elektroleitung an altertümlichen Holzmasten entlangführte. Sie hatten also kostenlosen Strom, und im Grunde war das alles, was sie brauchten.
Vor unliebsamen Besuchern brauchten sie keine Angst zu haben, denn die Scheune, das hatte Pjotr aus zahllosen Kleinigkeiten herausgefiltert, war seit Jahren nicht mehr in Betrieb, war nur die Müllhalde für alte, unbrauchbare Eggen, Saatmaschinen und Walzen, die seit Jahren vor sich hinrosteten. Niemand kam hierher.
Und noch etwas hatte ihnen ein unbekannter Bauer hinterlassen: eine Werkbank mit einem alten, noch funktionierenden Schraubstock.
»Also, Leute«, sagte Pjotr. »Erst werden wir in Ruhe essen, und dann ist Dimitri dran. Und dann unser Freund aus Damaskus.« Der Höflichkeit halber übersetzte er ins Englische, was er gerade auf Russisch gesagt hatte.
Achmed nickte. »Okay, okay. Also, erst mal essen.«
Er war blass und fahrig, er hatte sein Lachen verloren, sein Blick wirkte gehetzt.
Er hatte Pjotr auf der Bundesstraße 321 entsetzt angeschrien:
»Warum, zum Teufel, schießt ihr den beiden die Knie kaputt? Das ist doch eine Schweinerei!«
Pjotr hatte ruhig reagiert. »Das Leben ist nicht immer schön.«
»Warum habt ihr sie nicht gleich in den Kopf geschossen?«, hatte Achmed gebrüllt.
Pjotr hatte ihn lange angeschaut und dann gelassen geantwortet: »So dürfen sie weiterleben.«
Seitdem herrschte große Anspannung.
Die Gruppe der vier Russen hatte sich unterwegs Konserven mit Eintopf gekauft, die sie sich auf einem alten, mitgebrachten Zwei-Platten-Kocher erhitzten und dann gleich aus der Dose löffelten. Sie waren genügsame, schweigsame Männer, die Achmed zuweilen ironisch angrinsten, wenn sie ihn ansahen.
Es war eine eindeutige Botschaft: Sie verachteten den kleinen Mann aus Damaskus.
Achmed hatte sich ein Glas grüne Oliven gekauft, dazu ein Baguette. Er hatte keinen Hunger, aß nur, weil die anderen aßen und damit seine Hände etwas zu tun hatten.
Die Scheune roch gut nach Heu und Stroh, und der Geruch erinnerte Achmed an den Sommer, den er als kleiner Junge bei einem Verwandten im Hochland zugebracht hatte, einem Schafhirten. Er erinnerte sich, dass er sich mitten in der Schafherde auf den Rücken ins Gras gelegt hatte und die weichen Nasen der Tiere überall an seinem Körper gespürt hatte.
Diese Entspanntheit war unvorstellbar weit weg.
Der Kleinlaster im dämmrigen Hintergrund der Scheune schien ihm wie ein düsteres Höllengefährt.
Sie hatten zu fünft in den Sitzen gehockt, zwischen ihnen die Pakete mit dem radioaktiven Stoff. Drei Stunden lang waren sie um den Norden Berlins herumgefahren und schließlich hier am Arsch der Welt gelandet.
Achmed wusste nicht, ob hier ein Dorf in der Nähe war
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