Ein gutes Herz (German Edition)
ein Traum im Traum? Auf jeden Fall erfuhr er es als sehr authentisch.
»De Winter«, sagte van Gogh.
»Was willst du hier, Mensch?«, antwortete de Winter.
»Ich habe mitgelesen.«
»Das kann nicht sein«, sagte der Schriftsteller.
»Du schreibst ein Buch über das, was passiert ist, oder nicht? Über Boujeri und all diese Politiker. Ich weiß, wovon es handelt. Frag mich, was drinsteht, und ich sage es dir.«
»Okay, du hast mitgelesen, und? Warum kommst du zu mir? Du warst ein Arschloch, nicht nur mir gegenüber. Und jetzt, wo du tot bist, kommst du mal eben zu Besuch. Als du noch am Leben warst, haben wir nie ein Wort miteinander gewechselt. Ich muss Leuten heute noch erklären, dass wir nicht befreundet waren. Ich habe dich gar nicht gekannt!«
»Was willst du denn, Mister Möchtegern? Du suchst doch nach einer Möglichkeit, wie du mich in deinem Buch unterbringen kannst, oder? Als ich das heute Mittag hörte, dachte ich: Sieh mal einer an, erst das Jude-Sein ausschlachten, dann den toten Theo.«
»Du kannst mir jedenfalls nicht den Vorwurf machen, ich sei inkonsequent.«
Van Gogh grinste. »Sinn für Humor hast du, Schreiberling.«
»Warum bist du hier, nach all den Jahren?«
»Och…«
Van Gogh schaute kurz weg, nahm das Zimmer in sich auf und sagte dann: »Ist doch eigenartig, dass wir uns nie begegnet sind.«
»Das bedaure ich nicht.«
»Wie willst du über mich schreiben?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht tue ich es auch gar nicht«, sagte de Winter.
»Was hältst du davon… wenn du mich als Engel beschreibst?«
»Wie kommst du denn auf die Idee, van Gogh? Hast du da oben deinen Sarkasmus verloren? Ich schreibe einen realistischen Roman. Da gehören keine Engel rein. Graham Greene, John le Carré, Simenon – Autoren ohne Engel.«
»Engel gibt es aber«, sagte van Gogh.
»Dass ich nicht lache!«
»Hör mal, de Winter. Ich komme hier in deinen Traum spaziert, du kannst mich sehen und hören, ja ich bin zum Greifen nah. Und ich sage dir: Engel gibt es. Hast du keine Vorstellungskraft? Glaub mir, du sprichst mit einem Experten aus eigener Erfahrung.«
»Es reicht, van Gogh. Und das wolltest du mir in diesem Traum erzählen? Oder ist es ein Alptraum?«
»Bring mich als Engel in deinem Buch unter.«
»Das ist zu viel des Guten, Mensch.«
»Mach einen Engel aus mir. Aber wir haben keine Flügel. Den Fehler darfst du nicht machen.«
»Ach komm, versuch mir doch keinen Bären aufzubinden.«
»Warum sollte ich? Engel gibt es wirklich. Aber ohne Flügel.«
»Gut, wenn ich dich damit glücklich machen kann: Es gibt Engel. Erzähl mal, Herr van Gogh, wie sehen sie aus?«
»Ganz normal, so, wie du mich jetzt vor dir siehst.«
»Also ohne Flügel?«
»Ohne Flügel. Warte… Nein, mach mal mit Flügeln. Ist nicht verkehrt, wenn die Menschen denken, dass wir Flügel haben… Ich durfte noch ein letztes Mal zurück, weißt du, bevor ich weitergehe…«
»Weitergehe? Wie meinst du das, wohin?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, dass es dort, wohin ich gehe, gut ist. Ich wollte noch kurz zu jemandem von den Lebenden zurück. Zu dir…«
»Welche Ehre!«
»Ja, das ist eine Ehre. Schließlich hast du, als mich dieser Bartaffe gerade ermordet hatte, noch am selben Tag mit einem scheinheiligen Scheißartikel in einer Zeitschrift darauf reagiert, ich weiß nicht mehr, in welcher.«
»Elsevier.«
» Elsevier, ja. Ein scheinheiliger Scheißartikel, oder sagte ich das schon?«
»Er war nicht scheinheilig. Du warst wirklich ein schizophrener Spinner. Das Verrückte ist… Selbst nach all den Jahren werde ich jetzt noch wütend auf dich, weißt du das? Trotzdem habe ich dir die Schmerzen und die Angst nicht gewünscht.«
Van Gogh reagierte nicht. Schlug die Augen nieder. »Ich wollte hier noch so viel machen, weißt du das? Filme drehen, Bücher schreiben, Frauen… Hey, de Winter, das war’s jetzt. Wir laufen uns schon noch mal über den Weg. Mach was Gutes hier, ja? Mach was, worauf ich stolz sein kann. Keine seichten Romane oder sogenannt künstlerisch wertvollen Filme. Mach was Richtiges, okay?«
»Bist du deswegen zu mir gekommen, um mir das zu sagen?«
»Nein, ich bin gekommen, um zu sagen… Dieser Lichteffekt, den dieser besessene Beamte beschrieben hat, wie hieß er noch gleich…?«
»Van der Ven. Was weißt du über ihn?«, fragte de Winter.
»Ja, van der Ven. Dieser Lichteffekt, den gab es wirklich. Dafür gibt es Engel. Engel, werde Licht – so lautet hier das Gebot. Damit
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