Ein gutes Herz (German Edition)
was van der Ven erzählt hatte. Beide sagten, dass die Uhr von Kicham Ouaziz für einen kurzen Moment hell geleuchtet habe, als ob in der Uhr ein Scheinwerfer ein- und wieder ausgeschaltet worden wäre. Ein seltsames Phänomen. Vielleicht auf die situationsbedingte Angespanntheit zurückzuführen, mutmaßte de Winter. Eine zufällige Spiegelung von einer der Deckenleuchten, verstärkt durch die Angst und den Stress in dieser lebensbedrohlichen Lage. Während des Skype-Gesprächs mit Kohn und Nathan kamen zwei schwarze Kinder ins Bild, ein Junge und ein Mädchen, wahrscheinlich Kinder der Putzfrau oder so, die mit lautem Krakeel hin und her rannten und von Kohn zurechtgewiesen wurden.
Kohn und Nathan saßen auf einer Veranda im Schatten. Das Sonnenlicht brannte das Bild fast aus, doch hinter den beiden war noch ein klein wenig von der Aussicht zu erkennen, in der Ferne die Berge, und in größerer Nähe die weißen Pfosten eines Zauns rund um eine kahle Fläche – ein Pferch. Darin trottete ein Esel herum.
»Du hast einen Esel?«, fragte de Winter.
»Drei«, sagte Nathan.
Kohn zuckte die Achseln. »Du weißt von ihrer Eselliebe?«
»Alles«, antwortete de Winter. »Deine Mutter ist ein bisschen verrückt, Nathan.«
»I know«, sagte der Junge. De Winter vermisste ihn.
»Aber auch sehr lieb«, fügte der Junge hinzu.
De Winter vermisste alles an ihr, einschließlich ihrer Verrücktheit und ihrer aufgeregten Kurzschlusshandlungen, die so sehr zu ihr gehörten.
Van der Ven widersprach de Winters psychologischer Interpretation des Lichteffekts. Er habe das alles untersucht, wissenschaftlich untersucht, und es rangiere außerhalb der menschlichen Logik und des heutigen Stands der Wissenschaft, behauptete er. Der Mann war übergeschnappt. Er hockte bei vollem Gehalt untätig zu Hause herum und fühlte sich verkannt. Der klassische beleidigte Querulant. Hatte wegen eines kleinen Lichtreflexes auf einer Armbanduhr seine Existenz aufs Spiel gesetzt. Das konnte aber nicht der einzige Grund dafür sein, dass man ihn aus dem Verkehr gezogen hatte. Vermutlich spielten da noch andere Dinge mit, Eheprobleme, zu hohe Belastung, eine geheime Liebhaberin – oder ein Liebhaber –, die Schluss gemacht hatte. Wenn jemand eine derartige Obsession entwickelte, steckte meistens etwas ganz anderes dahinter. De Winter wurde nicht schlau daraus.
Zum Glück war der Autor für eine Weile weit weg von den Niederlanden. Sein Verlag hatte nämlich gerade Der Kommentator von seiner Exfrau Jessica Durlacher herausgebracht. Das Buch über ihre Scheidung (den Rezensionen konnte de Winter entnehmen, dass sie ihn ganz im Sinne der Kritiker vernichtet hatte) warf für sie und De Bezige Bij offenbar einiges ab. De Winter erwog, seinen Verleger Robbert Ammerlaan per Mail um eine Gewinnbeteiligung zu ersuchen. Ohne ihn wäre Der Kommentator schließlich nie geschrieben worden. Und die Hälfte der giftigen Dialoge stammte ja immerhin von ihm.
Er wollte das Buch nicht lesen und auch nicht damit konfrontiert werden. Aber er hatte schon zwei Niederländer mit dem Buch in der Hand im Straßencafé sitzen sehen.
Bram Moszkowicz leistete ihm einige Tage Gesellschaft. Eva folgte inzwischen Jessicas Beispiel und arbeitete ihrerseits an einem Buch. Über Bram. Das war in den Niederlanden niemandem entgangen. Vor einer Woche hatte man den Arbeitstitel bekanntgegeben: Schändlich & Infam. Als das hatte Bram nach seinem verlorenen Verfahren gegen einen Journalisten, der im Zusammenhang mit ihm den Ausdruck »Mafiakumpan« benutzt hatte, den Urteilsspruch bezeichnet. Nun verwendete Eva die Bezeichnunggegen ihn. Sie hatte ihn am selben Tag verlassen, an dem angekündigt wurde, dass sie Paul Witteman nachfolgen und die nun Pauw & Jinek heißende Talkshow mit moderieren würde. De Winter hatte schon genug damit zu tun, sich selbst zu bemitleiden, nun auch noch Bram. In der vergangenen Woche hatte de Winter an Ammerlaan gemailt: »Schade, dass Eva ihr Buch bei einem anderen Verlag untergebracht hat. You can’t win them all, Robbert!«
Brams Haus in Südfrankreich war von seiner Größe her zwar eher bescheiden, hatte aber eine schöne Lage inmitten eines ummauerten Gartens mit Palmen und einem Swimmingpool im genau richtigen Format. Von der überdachten Terrasse aus blickte man aufs Meer. Läden und Restaurants konnte man zu Fuß erreichen. Es war ruhig, und trotzdem fand man gleich um die Ecke Lebendigkeit und Unterhaltung.
De Winter hätte lieber in seinem
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