Ein gutes Herz (German Edition)
wieder den Rücken zu.
»Nein. Ich möchte gerne auf dem Gehweg bleiben«, beharrte Kohn.
»Kommen Sie, Herr Kohn«, sagte Father Joseph, »gehen wir auf der Straße um sie herum.«
»Nein«, entschied Kohn. Er gab dem Priester den Umschlag und tippte dem Bodybuilder auf die Schulter. »Würden Sie uns jetzt bitte kurz durchlassen?«
Er spürte, wie sein Herz, Jimmy Davis’ Priesterherz, in Vorbereitung auf das jetzt Kommende schneller zu pumpen begann.
Der Bodybuilder drehte sich um und fuhr gleichzeitig mit einer schnellen Bewegung den Arm aus, als wolle er einen Diskus wegschleudern. Er glaubte, er würde mit geballter Faust Kohns Kinn treffen, doch Kohn zog den Oberkörper zurück, so dass die Faust sein Gesicht verfehlte, packte den Arm des Mannes mit beiden Händen und kehrte dessen Körperbewegung getreu den Regeln von Krav Maga gegen ihn selbst. Er brachte den Mann aus dem Gleichgewicht und zog ihn im selben Moment an sich. Als der Kopf des Mannes wenige Zentimeter entfernt war, ließ Kohn seinen Kopf vorschnellen und traf mit der Stirn die Nase des Bodybuilders genau an der richtigen Stelle. Man hörte das Nasenbein des Mannes knacken und brechen. Kohn ließ ihn los, und der Mann fiel zu Boden.
Das Ganze hatte keine zwei Sekunden gedauert.
Adrenalin schoss durch Kohns Adern, das Herz von Jimmy Davis schlug wie verrückt in seinem Brustkorb, und er wusste, dass es ihn nicht im Stich lassen, sondern ihm die nötige Energie geben würde.
Die Mauer der Rücken teilte sich, und die Aufmerksamkeit der Gruppe verlagerte sich auf den am Boden liegenden Mann, der vor Schmerzen stöhnte und mit den Füßen trat.
»Ihrem Freund scheint etwas zu fehlen«, sagte Kohn. »Ich glaube, er sollte ärztlich versorgt werden.«
Er fühlte die erschrockenen Blicke auf sich, aber keiner wagte es, ihn herauszufordern oder zur Rechenschaft zu ziehen. Man machte Platz, als Kohn dem Priester mit einer Handbewegung bedeutete, dass sie weitergehen könnten.
Father Joseph, dessen Miene Entsetzen widerspiegelte, sagte eine lange Minute nichts, während sie sich auf den exklusiven Parkplatz mit valet service zubewegten, auf dem sein Wagen stand. Kohns Herz beruhigte sich. Father Joseph reichte dem valet sein Ticket und gab Kohn seinen Umschlag zurück.
Während sie auf den Wagen warteten, sagte der Priester: »Sie haben Erfahrung mit solchen Situationen.«
»Leider ja.«
»Darf ich fragen, welchen Beruf Sie ausgeübt haben?«
»Ich war Geschäftsmann.«
»Aber Sie verstehen sich aufs Kämpfen.«
»Ja. Ich lege es aber nie darauf an. Ich habe das nie gewollt.«
Der Priester zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was ich von Ihnen halten soll. Sie verunsichern mich sehr. Aber ich weiß, dass Sie eine gute Seite haben. Denken Sie an die Kinder. Ria, die Großmutter, hat kein Geld. Elly ist drogenabhängig. Sie brauchen Ihre Hilfe.«
»Ich werde sie unterstützen«, sagte Kohn. »Ich gebe Geld für eine gute Schule und ein vernünftiges Zuhause. Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst.«
Ohne ihm die Hand zu geben, stieg der Priester in sein Auto und fuhr davon.
In seinem Hotelzimmer breitete Kohn den Inhalt des Umschlags auf dem Schreibtisch am Fenster aus. Er hatte um ein Zimmer in einem der oberen Stockwerke gebeten, und von seinem Balkon aus blickte er auf die Millionen tanzender Lichter der Stadt.
Er war plötzlich müde. Der Zwischenfall hatte ihm mehr abverlangt, als er gedacht hätte. Es war Jahre her, dass er sich auf diese Weise zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte Kopfschmerzen. Er öffnete ein Fläschchen Wasser und sah sich an, was auf dem Schreibtisch lag. Kinderfotos, Kopien von Schulzeugnissen und Ausbildungsabschlüssen, Bilder von der Weihe zum Franziskaner, Fotos, die belegten, dass Jimmy Davis viel von der Welt gesehen hatte.
Schon die Bilder im Internet hatten es illustriert: Jimmy war ein gutaussehender Schwarzer, schlank, mit offenem, sanftmütigem Gesicht. Es gab Fotos, auf denen er in Badehose an einem tropischen Strand stand. Muskulöser Körper. Fotos als Mönch in brauner Kutte, zusammen mit anderen Mönchen. Belege für ein vielseitiges Leben und nicht für ein frommes, zurückgezogenes Dasein hinter Klostermauern. Vielleicht hatte Kohn auch überholte Vorstellungen davon.
Dann sah er das Foto von Jimmy Davis und Sonja Verstraete.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis wirklich bei ihm angekommen war, was er da sah. Kein Zweifel, die Frau neben dem Franziskaner war Sonja.
Sonja.
Ihm war, als
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