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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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Studenten herrschte ein verbissener Konkurrenzkampf. Der aber auf dem freien Markt nicht gestattet werden durfte. Allesamt Neomarxisten.«
    »Und Sie waren…?«
    »Im Grunde apolitisch. Ich habe das studiert, weil ich wissen wollte, was Macht bedeutet, wie sie funktioniert. Nicht, weil ich in die Politik wollte.«
    »Und, was ist Macht?«, fragte Father Joseph.
    »Das Streben nach Macht ist das Streben nach Überwindung von Angst und Bedrohung. Macht zieht unweigerlich das Verlangen nach sich, die Macht zu verabsolutieren. Wer einmal daran geschnuppert hat, ist für immer infiziert. Allen Machthabern und Entscheidungsträgern ist daher prinzipiell zu misstrauen. Sonja…« – Kohn hielt inne und fragte sich, was er eigentlich sagen wollte – »… eine Frau, die ich kannte, sagte immer, ich sei ein Anarchist. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin für Ordnung. Aber ich verabscheue die Elite. Die politische Elite, meine ich, die ihre Macht erhalten will. Nicht die Typen, die hier ihre Autos vorführen. Dafür haben sie vermutlich hart gearbeitet. Aber Macht, die zu Reichtum führt, ist verwerflich.«
    »Sie sind vielleicht linker, als Sie denken, Herr Kohn. Ihr Name… Sind Sie Jude?«
    »Ja.«
    »Sind Sie praktizierender Jude?«
    »Nein.«
    »Glauben Sie an Wunder?«
    »Nein.«
    »Sie glauben nicht, dass Sie dank eines Wunders weiterleben können?«
    »Wissenschaft. Kundige Ärzte. Wenn Sie das Wunder nennen wollen, bin ich ganz Ihrer Meinung.«
    Father Joseph lächelte. »Medizinisch ist heute vieles möglich. Glauben Sie nicht, dass es jenseits davon etwas anderes gibt, etwas Höheres, Besseres?«
    »Nein«, sagte Kohn. »Wenn Sie mich bekehren wollen, geben Sie sich keine Mühe. Ich bin ein Sünder ohne Reue.«
    »Das sagen Sie ganz vorbehaltlos von sich selbst?«
    »Ja.«
    Der Priester sah ihn einige Sekunden lang an. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Für eine solche Haltung wirken Sie auf mich viel zu sensibel. Sie haben jetzt das Herz eines gläubigen Menschen. Das lässt niemanden kalt.«
    Kohn beugte sich vor. »Ich bin Jimmy Davis dankbar. Aber wie soll ich die Krankheit auffassen, an der er gestorben ist? Soll ich mich darüber freuen, dass ihn ein Gehirntumor umgebracht hat? Seine Schwester hat mir erzählt, dass er furchtbar gelitten hat. Er ist tot. Ich lebe. Das sind die nackten Fakten.«
    Der Priester nickte und suchte nach einer Erwiderung. »Sie haben das Mysterium aus Ihrem Leben verbannt, Herr Kohn. Dadurch lassen Sie sich viel entgehen.«
    »Das gesamte Leben ist ein Mysterium für mich, Father.«
    Der Priester schob ihm den braunen Umschlag zu. »Ich war gerade bei den Angehörigen. Das hier haben sie in einer Schublade gefunden. Janet hatte den Umschlag für Sie bereitgelegt. Es sind Fotos darin, Papiere, lauter Informationen über Jimmy.«
    »Danke sehr. Das ist schön. Das wird mir helfen, eine Vorstellung davon zu gewinnen, wer er war. Haben Sie ihn gut gekannt?«
    »Nein. Ich kam in diese Gemeinde, als er schon lange nicht mehr hier lebte. Und ich bin nicht hier aufgewachsen. Ich kannte Janet. Und ich kenne ihre Schwester Elly. Und die Kinder natürlich.«
    »Wussten seine Kollegen, dass er Kinder hatte?«
    »Da bin ich überfragt. Ich glaube schon. Vielleicht aber auch nicht. Ich weiß nicht, wie er damit umgegangen ist.«
    »Sind sie von derselben Mutter? Vielleicht kann ich sie einmal aufsuchen.«
    »Zwei verschiedene Mütter. In der Hinsicht war Jimmy ein gieriger Mann. Haben Sie Kinder?«
    »Nein. Kennen Sie die Mütter?«
    »Janet hat mir von ihnen erzählt. Ja, ich kenne sie.«
    »Warum haben diese Mütter ihre Kinder hergegeben? Warum haben sie nicht selbst für ihr Kind gesorgt?«
    »Mit einem Franziskaner als Vater? Die Frauen hatten schon Kinder von verschiedenen Männern. Ledige schwarze Mütter mit mehreren Kindern von verschiedenen Männern. Dass Jimmy die Verantwortung übernahm, war außergewöhnlich. Sie überließen ihm seine Kinder liebend gern.«
    »Eine Abtreibung kam nicht in Frage, nehme ich an?«
    »Da liegen Sie ganz richtig. Katholisch, Herr Kohn. Der Vater wie die Mütter. Ich weiß, es ist scheinheilig, wenn man zwar unerlaubte sexuelle Beziehungen unterhält – unerlaubt vonseiten der Kirche –, den Schwangerschaftsabbruch aber scheut. Nun ja, geradlinig ist wohl nichts auf dieser Welt.«
    »Jimmy sorgte finanziell für die Kinder, und Janet Davis war im täglichen Leben, in emotionaler Hinsicht für sie da, ja?«
    »Ja.«
    »Wie nannten sie

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