Ein gutes Herz (German Edition)
hatte, dass er Kampfsportler war. Er hatte jahrelang Krav Maga betrieben, eine von einem slowakischen Juden namens Imrich (»Imi«) Lichtenfeld entwickelte Selbstverteidigungstechnik, die vom israelischen Militär für den Nahkampf eingeübt wurde, inzwischen aber auch im zivilen Bereich verbreitet war. Bei Krav Maga ging es nicht wie bei anderen Kampfsportarten um Eleganz oder Ehrenhaftigkeit, sondern hier zählten allein Schnelligkeit und Effektivität. Was funktionierte, wurde ausgefeilt. Beißen, kratzen, in die Augen stechen, alles war erlaubt. Das Niederringen des Angreifers war das Einzige, worauf es ankam. Das war wie für Kohn gemacht.
In den achtziger Jahren war er achtmal nach Israel gereist, um dort bei Experten zu trainieren. Krav Maga war damals noch praktisch unbekannt, Kohn hatte zufällig davon gehört, als er mit einem israelischen Drogenschmuggler im Geschäft war. Kohn war damals einer der drei großen Haschisch- und Marihuanahändler in den Niederlanden. Zur Absicherung seiner Transporte benötigte er laufend wehrhafte Männer, und daher horchte er auf, als der Israeli ihm erzählte, dass er dafür Exmitglieder von Eliteeinheiten anheuerte, die erst Schusswaffen einsetzten, wenn sie gegen Panzerfahrzeuge kämpfen mussten. Am Ende übte sich Kohn selbst in diesem Sport. Seit seine Krankheit in Erscheinung getreten war, hatte er zwar nicht mehr trainiert, doch die Bewegungsabläufe waren noch in seinen Muskeln gespeichert, als hätten diese ein eigenes Gedächtnis. Seit kurzem machte er wieder jeden Tag einige vorsichtige Übungen.
Während der Krankheit hatte er sich kaum an öffentliche Orte begeben. Im ersten Jahr war er schlichtweg zu krank gewesen, um überhaupt irgendwohin zu gehen, und nach der Transplantation fühlte er sich zu verletzbar. Erst seit er in Scottsdale, Arizona, wohnte, ging er wieder regelmäßig ins Restaurant, wo er sich mit Zeitung, Zeitschrift oder seinem E-Reader immer an einen Tisch in einer Ecke setzte, damit er nicht auf etwas zu achten brauchte, was sich hinter ihm abspielte.
Zum ersten Mal seit drei Jahren saß er jetzt zwischen Unbekannten auf einer Terrasse, und seine Intuition sagte ihm, dass sich durchaus eine Situation ergeben könnte, die den Einsatz physischer Gewalt notwendig machen würde. Er hatte solche Situationen in der Vergangenheit offenbar förmlich angezogen. Provoziert hatte er sie zwar nie, aber zweifellos war er häufiger in irgendeine Auseinandersetzung verwickelt gewesen als ein Briefmarkenhändler. Warum konnte er nicht wegsehen, weggehen, sich wegducken? Jede Konfrontation, in die er geraten war, schien von existenzieller Bedeutung zu sein. Die Souveränität, die er ausstrahlte – die Art, wie er dasaß, ging, sprach, zuhörte oder blickte –, provozierte und weckte Aggressionen. Machos wollten immer beweisen, dass sie ihn demütigen konnten. Alphatiere, die ihre Potenz beweisen wollten. Aber über all das war Kohn jetzt hinaus. Er hatte ein neues Herz. Er würde aufstehen und gehen, wenn er provoziert wurde.
Die Pasta schmeckte gut, und er leerte seinen Teller bis zum letzten Bissen. Als der Ober gerade abräumte, tauchte Father Joseph an seinem Tisch auf.
»Ein Dessert, Father?«
Sie schüttelten sich die Hand. Der Priester legte einen bräunlichen Umschlag auf den Tisch.
»Ach, warum eigentlich nicht«, sagte Father Joseph. »Haben Sie Apfelkuchen? Und einen Espresso bitte.«
Kohn bestellte eine Tasse Tee, und der Priester nahm ihm gegenüber Platz. Er hatte sich nicht umgezogen, trug immer noch seine schwarze Soutane mit dem weißen Priesterkragen. Obwohl sie im Freien saßen und es nicht übermäßig warm war, schwitzte er sichtlich.
»Eine völlig andere Welt«, sagte Father Joseph, während er das Straßenbild in sich aufnahm. »So viel Reichtum hier, so viel Armut dort. Ich bin kein Sozialist, aber das hier ist Überfluss. Die Autos…« Maseratis, Ferraris, Bentleys glitten langsam an den Terrassen vorüber. Hauptverkehrszeit auf dem Strip. »Von dem, was diese Autos kosten, könnten sich ganze Familien jahrelang ernähren.«
»Ist das den Fahrern dieser Autos vorzuwerfen?«, fragte Kohn.
»Wenn sie mehr nehmen, ist für andere weniger da.«
»Es hat Staatsmodelle gegeben, bei denen die Verteilung bürokratisch geregelt wurde. Hat nicht gut funktioniert«, entgegnete Kohn. »Ich habe Politikwissenschaft studiert, in einer Zeit, als alle links waren. Und gleichzeitig wollten alle anders sein als die anderen. Unter den
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