Ein gutes Herz (German Edition)
als auf natürlichem Rasen, aber man spielte hier allemal besser als auf der Straße oder einem asphaltierten Platz.
Sie spielten in der Runde, wobei man den zugespielten Ball abstoppen und gleich gezielt weiterspielen musste, das heißt, man durfte den Ball jeweils nur zweimal berühren. Man durfte ihn auch direkt abspielen, ohne ihn erst zu stoppen, was natürlich schöner war. Wer patzte, musste zur Strafe zehn Liegestütze machen. Bei so einem Spiel in der Runde musste man ganz präsent sein. Sie plazierten den Ball, als wären sie lasergesteuert. Und hart schossen sie auch, ohne die anderen zu schonen. In einem Punktspiel kam es ja auch darauf an, sich harte Bälle zuzuspielen und darauf vertrauen zu können, dass der Angespielte den Ball kontrollierte und ihn seinerseits wieder hart und präzise abspielen würde. Technik war die Basis, hinzu kam das Selbstvertrauen, und schließlich zählte die Überzeugung, dass jeder von ihnen mit vollem Einsatz bei der Sache war und die Mannschaft als Mannschaft funktionierte und kein Haufen einzelner Maestros war, deren Spielzüge in Schönheit starben.
Sallie schob den Ball zu Kareef weiter, der Karel genannt wurde, und Karel schoss ihn zu Jamal, der Jan hieß, und Jan knallte den Ball zu Firas rüber, der als Frits durchs Leben ging.
Frits war vermutlich der beste Spieler der Mannschaft. Er war achtzehn, klein und kräftig, und er war ihr Lionel Messi. Wie der Star von Barcelona spielte auch er mit hochgezogenen Schultern und leicht geduckt und war dank einer Kombination von Schnelligkeit, technischer Raffinesse und Durchsetzungsvermögen kaum zu stoppen. Und er hatte den gleichen Blick wie Messi, wenn der Ball in seine Nähe kam. Dann lag darin etwas Scharfes und Besessenes.
Hin und wieder gab es mal ein Spiel, in dem der Ball aufsässig war und Frits nicht gehorchen wollte – dann war Frits genervt und fügte sich zähneknirschend in eine dienende Rolle –, aber meistens schickte er ihn genau an die anvisierte Stelle, übrigens ohne den Ball dabei eines Blickes zu würdigen, als wären seine Füße eigenständige Wesen. Dorthin sollte der Ball, und schon rollte er dorthin wie ein ausgehungerter Hund. Schon allein wegen Frits war es für Sallie ein Vergnügen, diese Mannschaft anzuführen, dreimal die Woche auf dem Platz zu stehen und samstags ein Punktspiel zu bestreiten. Das Schöne daran war natürlich auch, dass er dadurch nur an zwei Abenden in der Woche zu Hause war, sich am Samstag mit seinen Freunden auf das Spiel vorbereiten und nach dem Spiel den Sieg feiern konnte. Das bedeutete einen ganzen Tag außer Haus, weg von seiner Mutter, weg von seiner Schwester.
Um Viertel vor elf beschlossen sie, die Trainingseinheit zu beenden. Sie kamen am Spielfeldrand zusammen, wo ihre Sporttaschen lagen, und zogen schweigend ihre Pullover über die durchgeschwitzten Trikots. Die Fußballschuhe wurden gegen leichte Sneaker ausgetauscht.
Hinter dem Zaun, der den Platz einfasste, auf der Seite vom Parkplatz, wartete schon seit einer Dreiviertelstunde ein Mann. Sallie hatte ihn gleich bemerkt, aber ihr Spiel hatte Konzentration erfordert, und er wollte nicht abgelenkt werden. Das Gesicht des Mannes war nicht zu erkennen. Sallie sah, dass die anderen den Mann ebenfalls im Auge behielten. Es kam zwar häufiger vor, dass sie beim Training Zuschauer hatten, doch das waren meistens Bekannte oder Verwandte, und die kamen dann immer näher, um ihnen auf die Schulter zu klopfen oder sie zu umarmen. Dieser Mann stand schon seit geraumer Weile einfach nur da und rauchte. Er hatte offenbar alle Zeit der Welt.
Wie immer bildeten sie einen Kreis, legten einander die Arme um die Schultern und steckten die Köpfe zusammen wie ein Organismus mit vier Körpern, aber diesmal umarmten sie sich fester als sonst, und Sallie wurde von einer unbestimmten Traurigkeit übermannt, die unvermittelt aus dem Bauch aufstieg und sich auf seine Kehle und seine Augen legte. Um nicht in Tränen auszubrechen, drückte er die Schultern von Frits und Karel, und sie drückten ihn gleichermaßen, und so blieben sie im Bewusstsein der Bürde ihrer Aufgabe sekundenlang stehen.
Es war unmöglich, ihre Entscheidungen rückgängig zu machen und das Leben so fortzusetzen, wie sie es bisher geführt hatten. Sie hatten zwei Jahre Vorbereitungszeit hinter sich, und die Entladung stand unmittelbar bevor. Mit einem Mal wurde Sallie bewusst, dass es diese Abende nie wieder geben würde. Sie würden nie mehr in
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