Ein gutes Herz (German Edition)
Verteidiger zwischen Mittelfeld und hinterster Linie aufgestellt, so dass er mit wenigen Schritten das Mittelfeld verstärken und damit den Druck auf die Spielfeldhälfte des Gegners erhöhen, notfalls aber auch die Jungs hinter sich bei der Verteidigung des eigenen Tors unterstützen konnte.
Wenn sie trainierten, bildeten sie zwei Mannschaften zu je neun Spielern. Von Sallie angeleitet, machten sie erst eine halbe Stunde Lockerungsübungen auf dem Platz, dann zog sich eine der beiden Mannschaften gelbe Leibchen über, und sie übten anhand eines Lehrbuchs, das Sallie günstig im Internet erstanden hatte, eine Dreiviertelstunde lang Zuspiel und Positionswechsel. Anschließend lieferten sie sich zweimal zwanzig Minuten lang ein Spiel mit ganzem Körpereinsatz. Es kam regelmäßig vor, dass sich einer verletzte, denn sie waren beim Training genauso wenig zimperlich wie in einem offiziellen Punktspiel.
Von dem öffentlichen Zuschuss hatten sie sich grüne Trikots mit weißen Hosen gekauft. Und sie standen alle auf Stollen von Adidas. Keiner der Spieler hatte auch nur ein Gramm Fett zu viel. Wenn sie als Mannschaft zusammenbleiben würden, hätten sie gute Chancen auf die Meisterschaft.
Bei jedem von ihnen hatte die Zugehörigkeit zur Mannschaft das Selbstvertrauen und die Disziplin gestärkt. Der Form halber hatten sie bei richtigen Spielen einen richtigen Trainer, aber im Grunde machten sie alles in eigener Regie, wie selbstverständlich von Sallie dirigiert. Alle waren immer pünktlich, auch beim Training. Es wurde nicht geflucht und nicht ausgespuckt. Die Entscheidungen der Schiedsrichter wurden nie in Frage gestellt. Ihre Haare waren immer kurz geschnitten, Kinn und Wangen immer glatt rasiert, und sie trugen weder Ringe noch Ohrschmuck noch Tattoos. Sie waren so akkurat, gehorsam und konzentriert wie Rekruten beim Militär.
Sallie arbeitete in der Fleischerei seines Onkels. Er machte dort die schwere Arbeit, während sein Onkel und seine Cousine Darya die Kunden bedienten. Sallie war vor einer Woche einundzwanzig geworden, Darya war fünf Jahre jünger, und Sallie wusste seit ihrer Geburt, dass sie seine Frau werden sollte. Die Tradition wollte es so, und wenn sie sich nicht dagegen auflehnten und die Gebräuche der alten Heimat verwarfen, würden sie auch heiraten. Darya hatte zwar durchaus schöne Augen, aber das Problem war, dass sie seit ihrem zwölften Lebensjahr dramatisch an Gewicht zugelegt hatte. Auch war nicht zu übersehen, dass sie von ihrem Vater außer den dichten schwarzen Haaren auf dem Kopf auch die Gesichtsbehaarung geerbt hatte. Darya war nicht attraktiv – dieser Einschätzung konnte man sich nur schwer erwehren, wenn man in den Niederlanden lebte. Das heiratsfähige Alter war in Marokko auf achtzehn Jahre heraufgesetzt worden, und da sie dort heiraten wollten, blieben Sallie noch ein paar Jahre Zeit, um sich darüber klar zu werden, ob er die Kraft besaß, mit der Tradition zu brechen.
Er hatte eine Ausbildung absolviert, die ihn zur »Fachkraft im Frischkosteinzelhandel« qualifizierte. Nach bestandener Prüfung hatte er von seinem Onkel einen Satz spezieller Messer bekommen – die besten, von Wüsthof Dreizack –, und mittlerweile war er ein versierter Fleischer. Er konnte zarte Scheiben aus der Schulter schneiden und einen Rollbraten daraus binden. Er konnte Beinknochen für die Suppe heraussägen. Er kannte die Anatomie von Rind, Lamm, Ziege und Schaf und schnitt Koteletts, Filets, ganze Lammrücken und Dönerfleisch aus den Tieren, die sein Onkel beim Schlachter kaufte. Er verstand es, den Abfall dabei auf ein Minimum zu begrenzen. Sein Onkel war mit seiner Arbeit zufrieden.
Sie trainierten von halb acht bis halb zehn, und manchmal machte ein kleineres Grüppchen noch weiter, bis um halb zwölf das Flutlicht ausgeschaltet wurde. Die meisten Spieler aber mussten früh zur Arbeit und wollten um zehn im Bett liegen.
An diesem Abend kickte Sallie mit drei Freunden noch um halb elf. Es war ein ungemütlicher, nasskalter Abend. Über Osdorp hing eine Wolke aus feinen Wassertröpfchen, die im Licht tanzten. Der Kunstrasen war tiefgrün und auch nach einem Abend heftiger Rutschpartien völlig unversehrt. Der Platz war eigentlich zu hart fürs Fußballspiel, doch er wurde tagsüber von Schulen und abends von diversen Vereinen genutzt, und nur Kunstrasen überstand eine so intensive Nutzung. Der Ball rollte auf diesem Platz eigentlich viel zu schnell, und man zog sich eher Verletzungen zu
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