Ein gutes Herz (German Edition)
auf meine Fragen vorzubereiten. Auf der Stelle tot. Man hatte ihn dort begraben, auf einem Friedhof der US -Armee in der Nähe von Jalalabad. Das habe ich jahrelang geglaubt. Bis ich herausbekam, dass es John nie gegeben hat und dass »gefallene« amerikanische Soldaten immer nach Amerika zurückgebracht werden. Meine Mutter hatte ein Kind von einem gerissenen Ganoven bekommen. Er war gefährlich. Und deshalb fuhren wir jetzt nach Hause, wo schon die Koffer standen. Ich würde vielleicht noch eine halbe Stunde Zeit bekommen, um ein paar Sachen einzupacken, die unbedingt mitmussten. Der Rest würde in einen Container geladen werden und Monate später bei unserer neuen Adresse ankommen. Mama sagte, dass keiner wissen durfte, wohin der Container ging, und es deshalb manchmal drei Monate dauerte, bis er bei uns abgeliefert wurde. Dann war er kreuz und quer in der Welt herumtransportiert worden, und unsere Sachen, die in Holzkisten verpackt waren, hatte man ein paarmal in andere Container umgeladen. Meine Mutter war wirklich ein bisschen irre. Wir mussten die Fahrräder bei unserem Haus in der Van Breestraat zwei Stufen rauftragen. Wir brachten sie nach hinten in den Garten. Ich wusste nicht, wann ich mein Rad wiedersehen würde.
Als wir vom Garten reinkamen, schloss Leon gerade die Haustür auf. Er hatte einen schweren Koffer bei sich und grinste übers ganze Gesicht. Mama schüttelte den Kopf. Sie schob mich Richtung Treppe.
»Oben steht noch ein Extrakoffer für dich«, sagte sie.
Leon zwinkerte mir zu, als ich an ihm vorbei die Treppe raufging. Ich tat so, als ob ich meine Zimmertür hinter mir zumachte, aber ich ließ sie einen Spaltbreit offen.
Sie sagten ganz lange nichts. Ich konnte mir vorstellen, dass Leon Mama ansah und dass Mama auf den Fußboden runterguckte. Wieso Leon den Koffer dabeihatte, war mir klar. Er wollte mit uns zusammen weggehen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Mutter ihm das erlauben würde.
»Was hast du vor?«, fragte Mama nach ein, zwei Minuten oder noch länger.
»Ich habe vor mitzukommen«, hörte ich Leon antworten.
»Das geht nicht, Leon. Ich nehme Nathan mit und sonst niemanden.«
»Doch, ich komme auch mit«, widersprach er.
»Nein. Das geht nicht, das ist zu viel.«
»Was ist zu viel? Ich möchte bei dir sein.«
»Ich lebe, wie ich lebe. Ich gehe jetzt von hier weg. Und ich komme nie mehr wieder. Ich fange irgendwo anders neu an.«
»Bis du auch dort wieder die Flucht ergreifst?«
»Ja. Das ist mein Schicksal.«
»Mag sein, dass Max ein Unmensch war, aber das ist er jetzt nicht mehr«, sagte Leon. »Bram hat ein paar Experten im Netz recherchieren lassen, mit einer speziellen Software, und die haben nichts gefunden.«
»Vor elf Jahren hat man auch nichts gefunden. Und glaub mir, da war eine ganze Menge. Also, mein lieber, lieber Mann, halt dich da raus. Geh nach Hause, pack deinen Koffer wieder aus, und vergiss uns.«
»Ich will mit.«
»Mach nicht mehr draus, als es ist, Leon. Es war eine schöne Zeit, keine Frage, aber damit hat sich’s.«
»Für mich war es sehr wichtig.«
»Es war nett, aber mehr nicht. Schluss. Lass uns gehen, ja? Mach keine Szene, es ist schon schwer genug.«
»Ich kann auf Naatje aufpassen, ich kann dir zuhören. Und ich möchte dir helfen. Es ist krank, wie du dich verhältst. Ich möchte, dass du irgendwo heimisch werden kannst. Und für mich wär das auch dringend notwendig. Irgendwo unter Palmen, wie du sagtest, das wäre am schönsten.«
»Es ist vorbei. Alles ist jetzt anders. Ich weiß, was ich tue. Geh bitte. Ich finde es schrecklich, wie du jetzt dastehst.«
»Ich komme nach.«
»Schlag dir das aus dem Kopf. Ich möchte dich nie mehr wiedersehen. Sag das mit der Bewachung des Hauses bitte ab.«
»Hab ich schon.«
Es war wieder einige Sekunden lang still. Dann sagte Leon: »Und das war’s?«
»Ja, das war’s. Es ist schön gewesen. Aber du hast doch wohl nicht geglaubt, dass es für immer sein würde, oder? Du gehst schon auf die sechzig zu, ich bin fast fünfzehn Jahre jünger als du! Schau dich doch mal an! Du bist fett, du schnarchst, dir wachsen Haare aus den Ohren. In zehn Jahren bist du fast siebzig, ein alter Mann. Du bist nett, du bist lieb, aber so überwältigend war das alles nun auch wieder nicht, auch nicht im Bett. Ich danke dir, es war eine schöne Zeit, aber jetzt ist es wirklich aus und vorbei.«
Wieder war es eine Weile still. Ich hörte Schritte. Ich stellte mir vor, dass Leon zu Mama
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