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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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nicht.
    »Was ist denn los, Mama?«
    »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht eine Bombendrohung. Es gibt immer Idioten, die so was machen.«
    Sie schob den schweren Gepäckwagen Richtung Fahrstühle. Wahrscheinlich wollte sie unten bei den Läden warten. Dort waren auch die Rolltreppen zu den Bahngleisen. Wir blieben aber in den Menschenmassen stecken und kamen kaum zehn Meter voran. Ich hörte Leute fluchen. Etwas weiter weg stand eine Frau, die laut schrie.
    Ein Mann neben uns hatte sein Handy am Ohr. Ich fing ein Wort auf, das er zu dem Mann neben ihm sagte.
    »Entführung.«
    Meine Mutter hatte es auch gehört. »Eine Entführung, eine Flugzeugentführung?«, fragte sie.
    Der Mann nickte. »Mein Büro rief gerade an, sie haben befürchtet, dass ich an Bord bin. Ein Flugzeug, das hier auf dem Rollfeld steht. Turkish Airlines. Ist schon im Radio.«
    Mama sagte: »Es ist schon im Radio, und wir werden hier nicht informiert?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Sie wollen hier keine Panik, schätze ich. Vielleicht gibt es auch eine Bombendrohung, das weiß man nicht. Erst mal sehen, wie wir hier wegkommen.«
    Mamas Handy klingelte, und ich sah, dass es Leon war. Mama starrte aufs Display und wartete, bis es aufhörte zu klingeln. Aber gleich danach klingelte es schon wieder. Sie seufzte und drückte auf die Ruftaste.
    »Ja…?« Sie hörte zu. »Ich habe es gerade gehört, ja.« Sie schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen. »Nein, das ist kein Schicksal. Das ist Pech. Ich werde einen Leihwagen nehmen.«
    »Mama, ich will hierbleiben! Morgen ist die Party!«
    Sie beachtete mich gar nicht.
    »Ja, hier herrscht Chaos«, sagte sie zu Leon. »Wird ’ne Weile dauern, bis wir draußen sind.« Sie hörte zu. »Wenn es lange dauert, nehmen wir einen Leihwagen.« Sie hörte zu. »Nein, du brauchst nicht zu kommen. Das wird dir ohnehin nicht gelingen. Hier ist kein Durchkommen mehr. Ich glaube, wir gehen ins Hotel. Dann sind die Koffer aufgehoben, und wir können dort warten, bis es vorbei ist.« Sie hörte zu. »Nein, ich komme nicht zurück.«
    Ich rief: »Ich will aber zurück, Mama! Ich gehe zurück!«
    Ich ließ sie stehen und rannte zwischen den Menschen durch. Mama war immer schnell, aber diesmal konnte sie mich nicht aufhalten. Zwischen den Menschen und den Gepäckwagen war ich im Nu verschwunden. Ich hörte sie meinen Namen rufen. Wenn es sein musste, würde ich auf der Autobahn nach Amsterdam zurücklaufen. Ich musste zu der Party. Ich hatte das Geschenk für Lia im Rucksack. Eine Flugzeugentführung. Wow, cool. Ich hatte zweihundert Euro. Ich hatte mein BlackBerry dabei. Und auch den Schmuse-Esel – war zwar ein bisschen babyhaft, und ich nahm ihn auch nachts nicht mehr in die Arme, aber ich hatte ihn schon so lange. Ich rannte wie im Slalom zwischen den Leuten durch nach unten, auf den Bahnsteig. Ich fuhr einfach zum Amsterdamer Hauptbahnhof, und von dort mit der Straßenbahn zum Concertgebouw. Ab da waren es noch ein paar Minuten zu Fuß bis nach Hause. Ich hatte noch meinen Schlüssel. Das war super!

13
    JOB
    Noch nie hatte sich Job Cohen mit Bush identifiziert; er hatte in ihm immer nur einen ziemlich plumpen texanischen Rüpel gesehen, einen schlauen, aber ungebildeten Cowboy. Als Bush in einer Grundschule in Florida die Nachricht ins Ohr geflüstert wurde, dass ein zweites Flugzeug in die Twin Towers geflogen war, machte er ein Gesicht, als habe man ihm in die Eier getreten und als könne er sich nicht rühren, solange der lähmende Schmerz durch seine Nieren zog.
    So in etwa erging es Cohen jetzt auch.
    Er besuchte gerade eine Grundschule, die bei Kindern mit Migrationshintergrund, die in diesem Viertel im Übrigen die Mehrheit darstellten, gute Erfolge erzielte. Er hospitierte beim Sprachunterricht nach einer neuen, verbesserten Methode. Cohen hatte schon einiges an »revolutionären« Unterrichtsmethoden ins Land gehen sehen, es gab ja alle paar Jahre wieder was anderes, aber es gehörte zu seinen Aufgaben, die Leute zu ermutigen und das Spiel von Hoffnung und Wandel mitzuspielen.
    Während des Unterrichts – Cohen saß noch keine fünf Minuten, weil er lange mit Marijke telefoniert hatte, in einer Ecke, für niemanden hörbar – öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und sein Sekretär Henk van Ast hielt sein Handy herein und tippte darauf. So etwas machte Henk nur im Notfall.
    Cohen stand sofort auf. Offensichtlich war etwas Ernstes vorgefallen. Er machte eine entschuldigende Gebärde zur Lehrerin

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