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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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hingegangen war.
    Er sagte: »Ich glaube dir nicht.«
    Dann war ein Klatschen zu hören, und mir war sofort klar, dass sie ihm eine Ohrfeige gegeben hatte.
    Kurze Stille. Dann wieder Schritte und Kofferrollen. Ich hörte die Haustür auf- und zugehen, und dann fing Mama an zu weinen.
    Was sollte ich tun? Nach unten gehen? Warten, bis sie aufhörte? Ich ging nach unten.
    Mama stand noch genau da, wo sie gestanden hatte, als ich nach oben gegangen war. Sie hatte die Hände vor dem Gesicht und weinte tief und leise. Leon war weg.
    »Mama? Mama?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Hast du das wirklich so gemeint?«, fragte ich.
    Wieder schüttelte sie den Kopf.
    »Warum hast du denn das alles gesagt?«
    Ich sah, dass sie schlucken musste. Sie sagte: »Geh deinen Koffer packen.«
    Das machte ich. Als ich wieder nach unten kam, standen die beiden anderen Koffer in der Diele.
    »Er ist zu schwer für mich«, sagte ich.
    Mama hatte sich neu geschminkt, aber man sah ihren Augen noch an, dass sie lange geweint hatte. Sie ging nach oben und schleppte meinen Extrakoffer die Treppe runter. Sie musste den Griff mit beiden Händen halten und sich ein bisschen nach hinten lehnen. Ich hatte Angst, dass sie durch meine Schuld die Treppe runterfallen würde.
    »Da hast du wohl dein halbes Zimmer reingestopft.«
    »Ich wollte alles mitnehmen.«
    »Es wird doch nachgeschickt«, sagte sie.
    Ich dachte: Und die Freundinnen, die sie hier gefunden hat, die Eltern von anderen aus meiner Klasse? Und ihre Arbeit? Wie macht sie das immer, wenn wir weggehen?
    »Möchtest du noch etwas trinken?«
    »Nein.«
    Sie machte sich einen Kaffee mit der neuen Nespressomaschine. Bis der Container bei uns ankam, hatte sie sicher eine neue gekauft. Dann hatte sie zwei.
    »Darf ich Lia das Geschenk schicken?«
    Sie schaute auf das Blinklicht an der Kaffeemaschine. Wenn das Blinken aufhörte, war der Kaffee fertig, und sie konnte auf den Knopf drücken.
    Ohne mich anzusehen, antwortete sie: »Ja, das kannst du. Das ist ungefährlich.«
    »Gehen wir dann noch schnell zum Postamt?«
    »In diesem Land gibt es keine Postämter mehr. Wir machen das von Schiphol aus. Mit FedEx oder so. Ist vielleicht auch besser.«
    Es klingelte. Wir sahen uns an. Es war das Taxi. Das war jetzt unsere letzte Minute hier. Mama schaltete die Nespressomaschine aus. Sie wollte den Kaffee nicht mehr trinken, weil sie den Fahrer nicht warten lassen wollte. Das Haus war jetzt verseucht. So war das. Hier wimmelte es jetzt von schlimmen Bazillen.
    Mama ging zur Haustür.
    »Wer ist da?«, rief sie laut.
    »Taxi! Sie hatten angerufen!«
    Mama machte die Tür auf, und davor stand ein Marokkaner, der angezogen war, als ob er zu einer Beerdigung wollte. Er lächelte sie an. Mama sieht ziemlich gut aus. Männer kriegen bei ihr immer Stielaugen.
    »Sind Sie mit einem Transporter da?«
    »Klar. Darum hatten Sie doch gebeten.«
    »Hier sind die Koffer.«
    Der Taxifahrer hob die beiden ersten Koffer viel zu schnell hoch. Er stöhnte, als er merkte, wie schwer sie waren.
    »Sie reisen nicht gerade mit leichtem Gepäck«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
    »Nie«, sagte Mama.
    Sie selbst nahm den dritten Koffer, meinen Extrakoffer mit Büchern und Spielzeug. Draußen stand ein grauer Mercedes-Transporter. Die beiden hinteren Türen standen offen. Ich blieb noch mit meinem Rucksack in der Diele stehen und sah mich ganz, ganz gründlich um. Was ich sah, wollte ich nie mehr vergessen. Es war nirgendwo so schön gewesen wie hier. Das Wetter war zwar oft nicht so besonders, aber es war toll, mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu können. Und ich konnte mit allen in der Sprache sprechen, in der ich auch träumte. Mama kam noch einmal rein und guckte zum letzten Mal nach, ob alles abgeschlossen war.
    »Komm«, sagte sie dann und zog den Hausschlüssel aus ihrer Tasche.
    Über die De Lairessestraat fuhren wir aus der Stadt raus. Es war später Nachmittag, und es war viel Verkehr. Auf den Radwegen ein einziger Strom von Radfahrern in jedem Alter. Straßenbahnen bimmelten.
    »Wohin, Mama?«, flüsterte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. Solange der Taxifahrer dabei war, wollte sie nichts sagen. Oder vielleicht wusste sie es auch selbst noch nicht. Sie würde am Flughafen Tickets kaufen. Sie würde bar bezahlen. Das machte fast keiner mehr, aber sie sagte, dass das sicherer war, als wenn man mit Kreditkarte bezahlte. Cash is king. Warum, wusste ich nicht.
    »Fahren wir noch bei FedEx vorbei?«
    »Das erledigen wir

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