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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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schönes Zuhause, und ich kam zu Fuß überallhin, ganz anders als in Frankreich. Und Leon war okay, ein bisschen spinnig zwar – was er so erzählte, klang immer ein bisschen strange –, und er war auch ziemlich dick und behaart wie ein Affe, das konnte man sehen, wenn er aus dem Bad kam. Dass Mama das gefiel, verstehe ich nicht. Die Schule war auch okay und lag mitten in der Stadt, das war klasse. Leon oder Mama kamen immer mit, wenn ich mit dem Fahrrad hinfuhr, totaler Quatsch, die Strecke zur vsv war überhaupt nicht gefährlich. Aber egal, es war schön in Amsterdam. Ich wollte bleiben.
    Sie wartete vor der Schule auf mich. Eigentlich sollte Leon kommen, das war so abgemacht. Aber sie stand da, und ich sah ihr gleich an, dass es wieder mal so weit war. Sie redete mit ein paar anderen Müttern, bei der Stopera war irgendwas passiert. Aber sie guckte zwischendrin zu mir rüber, und da wusste ich gleich Bescheid. Die Male vorher hatte ich es auch immer gleich gewusst.
    Wir würden wieder weggehen.
    Ich schüttelte den Kopf, und sie wusste, warum. Mama und ich können gegenseitig Gedanken lesen. Aber warum gingen wir weg, wenn bei der Stopera ein Unglück passiert war? Was hatte das eine mit dem anderen zu tun? Ich hörte, dass eine von den Müttern etwas von einem Gasleck sagte und von einer Explosion, und dass es mindestens fünfzig Verletzte gegeben hatte und es für einige davon gar nicht gut aussah, sie kannte jemanden, der jetzt im Krankenhaus lag.
    Mama sah, dass ich wusste, warum sie da war. Ich kenne diesen Blick von ihr. Gehetzt. Besorgt. Nervös. Ich bin einfach auf mein Rad gestiegen und in den Vondelpark gerast. Sie rief hinter mir her, aber ich bin voll weitergefahren, auf dem breiten Weg, an den Liegewiesen und Gebüschen vorbei. Und sie rief und rief und kam immer näher. Da bin ich dann aufs Gras gefahren und hab mich fallen lassen. Das kann ich gut. Es sieht gefährlich aus, aber ich hab das im Griff. Mama schrie, und das hatte ich auch gewollt. Ich bin vom Rad gehechtet und auf dem Boden weitergerollt wie ein Ball, und dann bin ich ganz still liegen geblieben.
    Okay, das war vielleicht auch nicht ganz fair, aber ich wollte nicht aus Amsterdam weg. Ich hatte ein Geschenk für Lia. Sie hatte mich als einzigen Jungen zu ihrem Geburtstag eingeladen. Am nächsten Tag würde Lia in der Klasse Obst austeilen – Süßigkeiten waren blöderweise nicht mehr erlaubt –, und nach der Schule feierte sie dann bei sich zu Hause eine Party. Wir würden Karten spielen, hatte sie gesagt. Lia hatte sonst nur Mädchen eingeladen, und mich als einzigen Jungen. Alle wussten von uns. Wir waren zusammen. Ich hatte eine Armbanduhr für sie, die wie ein Herz aussah. War vielleicht ein bisschen albern, das Geschenk, aber sie würde jedes Mal an mich denken, wenn sie draufguckte. Ich hatte die Uhr von meinem Taschengeld gekauft. War gar nicht so billig gewesen, und das würde Lia wissen, wenn sie sie auspackte. Mama hatte das Geschenk gesehen und natürlich gleich verstanden, was das Herz bedeutete. Lia hatte Fotos von den Mädchen, die sie eingeladen hatte, auf ihre Facebook-Seite geladen. Und auch ein Foto von mir.
    Ich blieb im Gras liegen, und Mama brüllte und sprang von ihrem Rad und flog fast zu mir hin. Da hab ich mich dann doch lieber aufgesetzt, denn da hat sie mir irgendwie leidgetan. »Tut dir was weh, Nathan? Hast du dir was gebrochen?«
    »Nichts passiert«, sagte ich.
    Wir keuchten beide. Sie beruhigte sich etwas. Sie wollte mir die Haare aus der Stirn streichen, aber ich schüttelte den Kopf, und da zog sie ihre Hand zurück. Ich sollte ihr nicht böse sein, sagte sie. Aber ich war böse.
    »Warum bist du so schnell weggefahren?«, wollte sie wissen.
    Dumme Frage. Sie wusste ganz genau, warum.
    »Ich will nicht von hier weg. Ich will hierbleiben.«
    »Glaubst du, ich gehe gerne von hier weg?«
    »Ja, das glaube ich. Aber ich nicht. Ich fühle mich hier zu Hause.«
    »Ich möchte auch gerne bleiben, Liebling, aber ich habe nur einen befristeten Vertrag im Krankenhaus, und danach muss ich mir wieder eine neue Stelle suchen, das finde ich auch nicht immer schön.«
    Ich schlang die Arme um meine Knie. Sie konnte unheimlich gut lügen. Sie log immer, wenn sie fand, dass es Zeit war, wieder wegzugehen. Sie hatte immer irgendeine Ausrede dafür. Dass sie woanders einen Job bekommen konnte. Dass wir das Haus nicht länger mieten konnten. Dass irgendwer was gegen uns hatte. Und dann waren wir sofort weg. Ich

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