Ein gutes Herz (German Edition)
aschfahl war. Wenn er an Marijke dachte, befiel ihn eine schreckliche Vorahnung. Sie hätte längst angerufen, wenn ihr nichts passiert wäre.
»Das können wir nicht auch noch gebrauchen. Die Stadt ist schon total entstellt«, murmelte er. »Dieser U-Bahn-Bau war schon zu viel des Guten. Und jetzt das.«
Welten sah ihn mitleidvoll an und drückte kurz aufmunternd seinen Arm. Cohen erwiderte die Geste mit einem traurigen Lächeln und dachte: Heuchler. Er wusste, dass Welten, ein Polizist der harten alten Schule, ihn für einen Schlappschwanz hielt und ihn am liebsten unter den Trümmern des Opernhauses begraben hätte. Das hier war Cohens Desaster. An Welten blieben die finanziellen und wirtschaftlichen Folgen des U-Bahn-Baus nicht hängen. Und auch für diese Katastrophe konnte man die Polizei nicht verantwortlich machen, egal, was passierte. Welten würde man das niemals aufs Butterbrot schmieren. Ihm, Cohen, schon. Vielleicht war diese Katastrophe die Folge einer fatalen Verkettung von Zufällen, aber es bestand auch die Möglichkeit, dass sie auf vernachlässigte Wartungsarbeiten zurückzuführen war. Wie auch immer, Cohen würde für alles geradestehen müssen. Denn es ging um den Rathaus-Opernhaus-Komplex, um seine Stopera.
Welten drückte noch einmal seinen Arm. »Die Organisation steht felsenfest, Job. Wir haben jede Minute genutzt. Wir tun, was zu tun ist.«
Cohen nickte. »Sowie es möglich ist, will ich mich dort umsehen.«
»Wenn das Feuer unter Kontrolle ist und keine weiteren Explosionen zu befürchten sind, fahren wir sofort hin.«
Cohen konnte sich die Frage nicht verkneifen: »Gibt es Hinweise darauf, dass etwas anderes dahintersteckt?«
»Nein, nichts.«
Cohen flüsterte jetzt. »Ist ein Anschlag ausgeschlossen?«
Welten zuckte die Achseln. »Auszuschließen ist nichts. Wäre verfrüht. Sie müssen erst rein, dann sehen wir, was los ist. Jetzt gehen wir noch von einem Gasleck aus. Und ich glaube, dabei bleibt es auch. Ich werde unten gebraucht.« Welten meinte den UKR im Untergeschoss. Den sah man auf einem Bildschirm, der auf einem Tisch unter den Büsten der Polizeipräsidenten stand.
Leute, die gerade noch am Sitzungstisch gesessen hatten, waren dort im Gespräch, verfolgten die Bilder auf den Monitoren, machten Notizen. Cohen hörte nur das leise Summen der Klimaanlage hinter den Lamellen in der Decke.
»Ich bleibe noch kurz hier«, sagte er.
Welten ließ ihn allein, und dreißig Sekunden später sah Cohen, wie er im UKR , von drei Inspektoren umringt, ein Handy ans Ohr setzte. Cohen war zum Abwarten verurteilt. Die Richtlinien wurden befolgt, die Kommunikationsverbindungen waren offen, und das System funktionierte. Bald würde er sein Mitgefühl bekunden, einige Worte sagen können. Die richtige Mischung aus Schock, Wut (auf wen?), Kontrolle, Optimismus finden.
Er wählte die Nummer von Marijkes Büro und bekam wieder Sandra an den Apparat, die Sekretärin.
»Immer noch nichts?«
»Nein.«
»Rufen Sie mich bitte gleich an, wenn Sie etwas hören.«
Er erhob sich, ging in den UKR und mischte sich unter die Kontrolleure der Kommunikationsströme, allesamt Leute mit einer Aufgabe, die sie jahrelang eingeübt hatten, ohne zu erwarten, dass sie sie jemals ausführen müssten. Hier fand die Koordination der verschiedenen Rettungsdienste statt. Van Ast hatte ihm einen Kaffee besorgt und ließ ihn den ersten Entwurf einer Erklärung lesen, die er am späteren Nachmittag verlesen sollte. Es war warm im Raum, und er zog sein Jackett aus und reichte es van Ast. Er ließ sich bei jedem Monitor über die Daten informieren, die darauf angezeigt wurden, über die Art und Weise, wie Daten gesammelt und selektiert wurden, um sie dann an die verschiedenen Einheiten weiterzugeben. Auf einem Tablettwagen wurden belegte Brötchen und Gebäck gebracht. Es war auf eine seltsame Weise befriedigend, inmitten von Leuten zu stehen, die konzentriert und energisch ihre Rettungsarbeit verrichteten. Er sah auf einem Bildschirm, dass die ersten Feuerwehreinheiten, mutige Männer mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken, in Schutzanzüge gehüllt, die sie wanken ließen wie Astronauten auf dem Weg zu ihrer Rakete, das verschandelte, entzweigerissene Gebäude betraten. Neben den Krankenwagen, die mit geöffneten Türen und ausgeklappten Tragen bereitstanden, warteten Sanitäter, die Arme auf dem Rücken verschränkt, auf das, was drinnen gefunden werden würde. Die Bilder hatten keinen Ton und beeindruckten ihn
Weitere Kostenlose Bücher