Ein gutes Herz (German Edition)
Dutzenden Sorten Likör, Wein, Wodka, Genever.
Kohn bestellte einen Tee und behielt den Fernseher im Blick, während er darauf wartete. Drei fahlgraue Männer betraten die Kneipe, als seien sie hier zu Hause, den Blick fest auf den Fernseher gerichtet. Sie blieben mit den Händen in den Hosentaschen oder mit vor der Brust verschränkten Armen stehen, die Gesichter tief gefurcht und gezeichnet vom Rauchen und Trinken. Einer von ihnen, ein untersetzter Typ mit knolliger, blauroter Genevernase, zündete sich eine Zigarette an und sagte zur Kellnerin: »Wir rauchen heute drinnen, okay, Mieke?«
»Ja«, antwortete sie. Sie zog einen Aschenbecher unter dem Tresen hervor und stellte ihn dem Mann hin. Ohne zu fragen, schenkte sie den Männern ein, Pils und Genever.
Kohns Handy vibrierte. Es war Bram Moszkowicz.
»Hi, Bram«, sagte er.
»Hallo, Max.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Ja, habe ich. Sie will dich nicht sehen, Max. Ich kann sie nicht dazu überreden. Es tut noch zu weh.«
»Ich bin ein anderer Mensch geworden, Bram.«
»Das glaube ich dir.«
»Ich muss ihr eine wichtige Frage stellen.«
»Mach es doch schriftlich! Dann gebe ich es ihr.«
»Nein. Das geht nur im direkten Gespräch. Warum sollte ich ihr denn etwas antun, Bram?«
»Vielleicht tut sie dir etwas an, Max. Und davor will sie sich schützen.«
Kohn hatte viele Jahre über seine Beziehung zu Sonja nachgedacht, aber dieser Gedanke war ihm nie gekommen.
»Versuch’s bitte weiter, Bram.«
»Ich versuche es heute noch ein-, zweimal. Wenn sie sich standhaft weigert, sind mir die Hände gebunden.«
»Und de Winter? Könnte der helfen?«
»Der hat für dich getan, was er konnte. Den alten Zeiten zuliebe.«
Offenbar hatte de Winter Moszkowicz die Sache mit Kohns erstem Import anvertraut. Das war im Vergleich zum späteren, professionellen Vorgehen noch ein Kinderspiel gewesen. Aber Geld hatte es dennoch gebracht, mehrere zehntausend Gulden.
»Wir sind beide in Den Bosch aufgewachsen«, sagte Kohn. Dieser Zusatz war nötig, weil er damit rechnete, dass er abgehört wurde. Er war schließlich in den Niederlanden. Nirgendwo auf der Welt wurden so viele Telefongespräche von den Behörden abgehört wie in den gutmütigen, liberalen, permissiven Niederlanden.
»Das sagte er, ja«, erwiderte Moszkowicz, der genau erfasste, warum Kohn diese Bemerkung gemacht hatte.
Kohn fragte: »Können wir uns nachher kurz treffen? Ich erwäge, mich von meinen Immobilien zu trennen.«
»Keine günstige Zeit für den Verkauf von Immobilien, Max.«
»Ist mir egal. Ich will verkaufen. Ich will hier nichts mehr besitzen.«
»Hast du die Nachrichten gehört?«
»Ich war auf der Magere Brug. Unerträglich.«
»Ich habe gerade jemanden gesprochen, der meinte, es sei ein Anschlag gewesen. Klingt vielleicht bescheuert, wenn ich das sage, aber ich hoffe, es war ein Gasleck. Auch schlimm, aber nicht vergleichbar.«
Sie vereinbarten, sich gegen Abend in Moszkowicz’ Kanzlei an der Herengracht zu treffen. Moszkowicz wollte de Winter bitten, mit ihnen zusammen essen zu gehen.
Kohn trat vor die Kneipe hinaus. Keine Autos mehr auf der Utrechtsestraat. Keine Straßenbahnen. Nur Fußgänger und Radfahrer und Mopeds. Die Fußgänger liefen mitten auf der Straße. Aber sie waren nicht in Feierlaune.
Er ging wieder hinein. Neue Gäste waren gekommen. Es wurde inbrünstig geraucht und todernst geschwiegen. Die Barhocker und Stühle waren jetzt angeordnet wie die Zuschauertribüne für eine Vorstellung im Fernsehen. Die Leute blickten auf die Bilder in dem Kasten, die nur wenige hundert Meter entfernt rund um ein verstümmeltes Gebäude aufgenommen worden waren.
Kohn bedeutete der Kellnerin, dass er eine Runde für alle ausgab. Die Gäste hoben das Glas und nickten ihm dankend zu. Er erwiderte das mit einem Nicken, ein Glas Cola light – zu Hause in Amerika nannten sie es »Diet Coke« – in der erhobenen Hand.
Eine gute Dreiviertelstunde war verstrichen, als die Fernsehübertragung unterbrochen wurde. Breaking news hieß so etwas bei CNN . Auf dem Flughafen Schiphol war ein Flugzeug gekapert worden.
Es schien fast, als hätten die Kneipengäste nur auf ein Signal gewartet. Sofort brachen sie in Kommentare, Erklärungen, kritische und warnende Äußerungen aus.
Kohn ließ eine weitere halbe Stunde verstreichen, bevor er anrief. Die Stadt machte ihn unruhig. Den größten Teil seines Lebens hatte er sich von Misstrauen leiten lassen. Er hatte gehofft, dass ihn sein
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