Ein gutes Herz (German Edition)
Propheten Mohammed nacheiferte. Offenbar weckte diese Glaubenstradition Erwartungen, die, wenn sie nicht eingelöst wurden, Wut und Gewalt schürten, wie jetzt im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert geschehen. Die englischsprachigen Länder hatten die Macht in der Welt, nicht die arabischsprachigen. Kulturen, Menschenbilder, Identitäten kollidierten, und die Mohammedaner setzten alles in Bewegung, um die Macht des englischsprachigen Teils der Menschheit zu brechen. Mit Gewalt, Quertreiberei, Propaganda.
Doch alles, was das einundzwanzigste Jahrhundert charakterisierte – insbesondere die Geschwindigkeit –, war geprägt vom Geist der Englischsprachigen. Die Mohammedaner konnten zerstören, so viel sie wollten, triumphieren würden sie nur, wenn sie in der Lage waren, den Geist und die Kreativität der Englischsprachigen mit ihrer eigenen mohammedanischen Antwort zu überbieten. Das war so offenkundig, dass Kohn sich seit Jahren über das Fehlen bahnbrechender Wissenschaftszentren in der mohammedanischen Welt wunderte. Auf diesem Gebiet mussten die Mohammedaner konkurrenzfähig werden, wenn sie ihre Ansprüche verwirklichen wollten. Aber das geschah nicht. Sie sprengten lieber Gebäude, darunter auch Moscheen, in die Luft, und sich selbst dazu.
Kohn interessierte Macht, nicht aber Politik. Das gesamte Phänomen der mohammedanischen Kränkung konnte ihm gestohlen bleiben. Seit Jahren brachten Mohammedaner sich massenhaft gegenseitig um, wie einstmals die Christen, aus Gründen, die ihm schleierhaft blieben. Und deshalb ließ er es nicht zu, dass diese Typen ihn in seiner Gemütsruhe störten. Oder hatten irgendwelche anderen Spinner eine Rechtfertigung für die Sprengung der Stopera gefunden? Die Friesische Befreiungsfront? Die Brabantische Freiheitsarmee? Oder irgendein freilaufender Irrer?
Kohn vermutete also gleich: Das war keine versehentliche Explosion, und somit steckten Terroristen dahinter, und somit ging das Ganze auf das Konto von Mohammedanern. Aber es konnte sich natürlich auch um ein »normales« Unglück handeln. Gas. Was sonst? Rohre und Leitungen waren im sumpfigen Boden der Stadt hohem Druck ausgesetzt, und im Laufe der Jahre hatten sich im Metall allmählich Risse gebildet. Und eines schönen Tages, heute, gerade eben, bumm…
Das Sirenengeheul Dutzender Feuerwehrfahrzeuge, Polizei- und Krankenwagen, die unweit vom Hotel durch Wibautstraat und Weesperstraat rasten, erfüllte die Luft. Vielleicht hatte es Tote gegeben. Waren Herzen stehengeblieben. Einen Moment lang fühlte Kohn das sinnlose, unsinnige Leiden, das dort hinten erfahren wurde.
Er zog sich an, nahm die Tabletten ein, die eine Abstoßung des Spenderherzens durch seinen Körper unterdrücken sollten. Cyclosporin. Tacrolimus. Er wollte nach draußen gehen. Er wollte wissen, was los war. Sensationsgier? Nein. Vielleicht konnte er etwas tun. Vielleicht konnte er jemanden beruhigen.
*
Wenn ich groß gewesen wäre, hätte ich mich bestimmt nicht so schnell durchdrängeln können. Aber so entwischte ich über eine Treppe ins Stockwerk drunter, wo die Läden waren und die Rolltreppen zu den Bahnsteigen. Diese untere Halle war auch riesig und total voll. Mein BlackBerry klingelte, es war Mama, aber ich machte den Ton aus, denn ich wollte nicht mit ihr reden. Ich hatte Angst, dass ich keinen Platz mehr im Zug bekommen würde. Vielleicht waren die Züge jetzt genauso vollgestopft wie in Tokio. Da bin ich mal mit Mama gewesen. Da quetschten sich einfach alle rein, bis die Türen zugingen. Das hätte ich jetzt gar nicht schlimm gefunden. Hauptsache, ich kam weg.
Aber auf den Bahnsteigen war gar nicht so viel los.
Irgendwer hatte also ein Flugzeug gekapert. Ich guckte Nachrichten und wusste ziemlich gut, was in der Welt passierte. In Amsterdam hatte es eine Explosion gegeben, und nun das hier in Schiphol. Unheimlich. Aber für mich war das super!
Ich hatte keine Fahrkarte, aber ich hatte genügend Geld und konnte vielleicht noch eine Karte beim Schaffner kaufen. Hoffentlich machte der keinen Aufstand. Ich wusste nämlich nicht, ob man im Zug überhaupt eine Karte kaufen konnte. Vielleicht kriegte man gleich ein Bußgeld aufgebrummt. Dann würde ich lügen und einen falschen Namen und eine falsche Adresse angeben. Ich wollte Lia anrufen, aber ich musste die ganze Zeit aufpassen, ob der Schaffner kam, und da konnte ich mich nicht richtig darauf konzentrieren, was ich Lia sagen wollte.
Mama war natürlich wütend. Das war mir
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