Ein gutes Herz (German Edition)
dass er ein Schulterholster trug.
Verstraete residierte in einem Gebäude hinter dem Hilton Hotel, errichtet im Stil der Amsterdamse School. Sie ließen sich nicht von der protestierenden Sekretärin zurückhalten, rissen die Tür auf und zwangen Harry, das Gespräch mit dem Berater oder Buchhalter, der gerade bei ihm am Tisch saß – ein Mann in zu weitem Anzug von P & C (gab es die Läden eigentlich noch?) –, abzubrechen und Kohn zuzuhören.
Kohn blieb einen Moment stehen, zückte sein iPhone und schaute mal kurz im Internet, ob es Peek & Cloppenburg noch gab. Verdammt. In den Niederlanden gab es nur noch ganze vier Filialen dieser Bekleidungsfirma, die für jeden Durchschnittsbürger einst ein Begriff gewesen war. Gediegen, bezahlbar, farblos. Generationen von Männern hatten sich bei P & C eingekleidet. Er schaute sich um. Er stand jetzt an der Ecke Herengracht und Vijzelstraat. Das Gedröhn mehrerer Hubschrauber lag über der Stadt. Er ging weiter Richtung Muntplein. Es war noch zu früh für das Treffen mit Bram Moszkowicz.
»Ich habe dir vertraut, Harry. Ich dachte, wir können miteinander. Ich hatte viel Gutes über dich gehört. Dass du Vereinbarungen immer einhältst. Dass du akkurat bist. Pünktlich. Du wirst also verstehen, dass ich jetzt sehr unglücklich bin. Und ich bin nicht gern unglücklich. Ich wüsste auch nicht, womit ich es verdient hätte, dass ich jetzt unglücklich bin. Warum hast du mich gelinkt, Harry? Wir hatten doch keinen Streit, oder? Wir kannten uns, hatten vielleicht auch schon mal eine gepflegte Meinungsverschiedenheit, aber sonst nichts. Keinen Dissens in politischen Fragen. In Sachen Fußball. In Sachen Frauen. Nichts. Und trotzdem hast du mich gelinkt. Warum, Harry?«
Es war ein lächerlicher Monolog. Kohn hatte sich von seiner Rolle mitreißen lassen. Es ging um Geld, und er war stocksauer, aber er hätte es kürzer machen können, origineller, sachlicher – und damit vielleicht bedrohlicher.
Verstraete schien nicht beeindruckt. »Ich hab dich nicht gelinkt, Max. Du hast bekommen, was wir vereinbart hatten.«
Harry Verstraete war ein korpulenter Mann, gut vierzig Kilo zu schwer. Aber er kleidete sich gut, immer mit blütenweißem Hemd und locker fallenden Maßanzügen von Londoner Schneidern. Er sah ein wenig exotisch aus, hatte was vom Leiter eines Sinti-Orchesters. Schnauzbart, Haare bis auf den Kragen – einst schwarz, jetzt grau durchsetzt, aber topmodisch geschnitten –, markante griechische Nase, viele goldene Ringe an den Fingern. Nicht gerade das Aussehen eines dezenten Intellektuellen. Er hatte Sonja gezeugt, aber das wusste Kohn an jenem Tag noch nicht.
»Der ganze Block, das war vereinbart.«
»Für den Betrag?«, fragte Verstraete mit gespielter Entrüstung.
»Für den Betrag.«
»Nein. Du irrst dich.«
»Ich irre mich selten.«
»Vereinbart ist vereinbart, Max. Du hast bekommen, was dir zustand.«
»Du bist ein Querkopf, Harry.«
»Nein, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Du bist ein Querkopf, Harry.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du hörst mich: Du bist ein Querkopf.«
Kohn hatte selbst keine Ahnung, was er damit sagen wollte. Aber es klang drohend.
»Ich will nicht mehr mit dir arbeiten«, sagte Verstraete. »Das war das erste und letzte Mal. Dort ist die Tür.«
»Du bist mir zweieinhalb schuldig, Harry.«
»Du irrst dich, Max.«
»Zweieinhalb«, wiederholte Kohn. »Die dürftest du noch irgendwo liegen haben.«
»Du irrst dich, Max«, wiederholte Verstraete.
»Ich bin kulant. Warum? Keine Ahnung«, sagte Kohn. »Drei Monate. Bis dahin hast du die andere Hälfte des Blocks überschreiben lassen. Oder Kichie kommt mit einem Koffer vorbei. Für das Bare. Oder für dich.«
Letzteres war eine spontane Eingebung, die er nicht ungenutzt lassen konnte. Eine leere Drohung. Aber das konnte Verstraete nicht wissen. Verstraete verkehrte mit Typen, die nicht davor zurückschreckten, solche Drohungen in die Tat umzusetzen.
Sieben Wochen später wurde auf Kohn geschossen, und im Krankenhaus lernte er Sonja kennen. Er erzählte ihr nie, dass es zwischen ihm und ihrem Vater zu einem Konflikt gekommen war. Er habe mal Geschäfte mit ihm gemacht, sagte er ihr. Verstraete konnte ja nicht verborgen bleiben, dass seine Tochter mit Kohn das Bett teilte, und soweit Kohn wusste, versuchte Verstraete nie, seine Tochter gegen ihn einzunehmen. Warum sollte er auch? Verstraete verdiente schließlich zweieinhalb Millionen Gulden an der Beziehung seiner
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