Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
Vom Netzwerk:
mitnehmen.«
    »Aber ich gehe heute Abend nicht weg aus Amsterdam, dass du das weißt, Mama. Und morgen auch nicht. Ich schreie den Flughafen zusammen und sage, dass du mich entführen willst, und dann kommt die Polizei. Ich gehe morgen ganz normal in die Schule und danach zu der Party, okay? Okay, Mama?«
    »Ich komme dir entgegen«, sagte sie leise.
    »Ich sage dir nicht, wo ich bin, wenn du nicht dein Okay gibst. Okay?«
    »Okay«, sagte sie.
    Supercool!
    »Bleib dort im Mc. Geh nicht weg. Warte auf mich, Naat. Sag, dass du dort auf mich wartest.«
    Und da sah ich diesen Mann. Das war ganz komisch. Ich wusste, wer er war. Ich erkannte ihn sofort. Er war nicht so jung wie auf den Fotos, die ich im Internet gefunden hatte, aber er war es. Ich erinnerte mich an sein Gesicht. Ich hatte es mir oft genug im Netz angesehen. Und ich kann mir Gesichter echt gut merken. Dieser Mann war der gerissenste Ganove der Niederlande. Und er war mein Vater. Ob er überhaupt wusste, dass er einen Sohn hatte? Dass ich sein Sohn war? Das war richtig gruselig!
    »Nathan! Warum sagst du nichts?«
    »Mama?«
    »Was ist denn? Warum hörst du dich plötzlich so komisch an? Ist was passiert?«
    »Mama?«
    »Was ist? Warum bist du so komisch?«
    Wie sollte ich ihr das sagen? Ich musste es sagen. Ich guckte zu dem Mann, und ich konnte die Augen nicht mehr von ihm abwenden – klingt schön, nicht? Hab ich auch in einem Buch gelesen.
    »Mama… Du hast mir nie erzählt…« Ich fing automatisch an zu flüstern. Ich musste es sagen. Was für ein superbeknackter Tag. Ein richtiger Scheißtag. Aber auch spannend. Ich wusste nicht so genau. Ziemlich verwirrend das alles. Ich holte tief Luft.
    »Mama… Ich weiß, wer mein Vater ist«, flüsterte ich. »Ich hab das gegoogelt. Schon vor längerem…«
    Wieder war sie eine Weile still. Vielleicht wurde sie jetzt wütend. Sie war nicht oft wütend, aber wenn, dann konnte sie total schreien. Nein, sie war eigentlich ziemlich oft wütend.
    »Wann hast du das gegoogelt?« Sie flüsterte auch.
    »Ist schon länger her. Ein Jahr oder so. Hab einfach deinen Namen eingegeben.« Jetzt redete ich echt ganz leise. »Die Verhaftung… Das hab ich gelesen… Mit diesem Mann… Und ich weiß, wie das mit Kindern geht… Wenn man neun Monate zurückrechnet…«
    »Warum sagst du das jetzt? Willst du mir weh tun? Willst du mich bestrafen, weil ich der Meinung bin, dass wir von hier wegmüssen?«
    »Nein, aber… Ich sehe ihn hier stehen. Er weiß nicht, dass ich ihn sehe. Aber er ist es wirklich.«
    »Du täuschst dich«, sagte sie. Sie hörte sich beunruhigt an.
    »Ich stehe hier draußen auf der Brücke, mit ganz vielen Leuten. Alle gucken zur Stopera rüber. Und der Mann steht auch hier.«
    »Geh da weg!«, schrie sie. »Geh da weg! Jetzt sofort! Sorg dafür, dass er dich nicht sieht! Ich flehe dich an, Nathan, geh da weg!«
    Und in dem Moment drehte sich der Mann um. Er hatte mich gespürt. Er hatte das einfach gespürt. Ich hielt den Kopf ein bisschen nach unten und hatte die Schultern hochgezogen, um in Ruhe mit Mama reden zu können, und so hatte ich ihn beobachtet. Das hatte er gespürt. Ich wusste nicht, wie das ging. Wenn Lia mich in der Klasse ansah, spürte ich das aber auch. Dann guckte ich zur Seite, und sie guckte schnell weg. Andersrum genauso, dann drehte sie sich um, wenn ich zu ihr rüberguckte. So was kommt vor. Jetzt auch bei diesem Mann. Er sah mich an, und ich fand, dass ich ihm ähnelte, und ich glaube, dass er das auch dachte. So war es einfach.
    Ich drehte mich um, tauchte zwischen den gaffenden Leuten durch und fand einen Ausweg. Ich lief weg. Ein paarmal guckte ich mich um, aber der Mann kam mir nicht hinterher.
    »Bist du von dort weg, Naat?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Lauf Richtung Leidseplein. Also am Singel entlang, zum Koningsplein, und dann durch die Leidsestraat zum Leidseplein. Weißt du, welche Route ich meine?«
    »Ja.«
    »Bleib zwischen Menschen. Geh nirgendwo anders hin. Hörst du?«
    »Mam? Du bist echt ein bisschen irre.«
    »Ja, das bin ich«, sagte sie.
    Sie legte auf.
    *
    Was hatte der Junge? Zehn, elf Jahre alt mochte er sein. Der starrte ihn an. Kohn hatte schon seit einer halben Minute das Gefühl gehabt, dass ihn jemand ansah. Es war dieser Junge. Er stand ein wenig geduckt da, mit Handy am Ohr, nur vier Menschen von Kohn entfernt, ganz vorn an der Brüstung. Hübsches, ebenmäßiges, intelligentes Gesicht. Große braune Augen. Der Junge schlug nicht die Augen nieder, als

Weitere Kostenlose Bücher