Ein gutes Herz (German Edition)
Tochter zu Kohn, der natürlich keine Drohungen mehr aussprach und die Sache auf sich beruhen ließ – zumindest, solange Sonja seine Geliebte war.
Kohn saß ein paarmal mit Harry Verstraete am Tisch, in größerer Runde. Bei Spendengalas für einen guten Zweck. Er sprach Verstraete nie wieder unter vier Augen, und als Verstraete verschwand, ging das natürlich auch nicht mehr.
Kohn war auf dem Muntplein angelangt.
*
Auf dem Muntplein konnte ich mich leicht zum Brückengeländer vordrängeln. Da standen viele Leute, und alle wollten sehen, was drüben bei der Stopera passierte, aber sie ließen mich durch, wenn ich ein bisschen schubste. Ich kam bis ganz nach vorn und hatte einen richtig guten Blick auf die Stopera. Lias Mutter war da schon mal in einem Konzert gewesen, und Mama, glaube ich, auch. Leon sagte immer, dass er keine »Elite-Tempel« mochte, und dafür schimpfte Mama ihn immer aus. Das Opernhaus war für ihn so ein »Elite-Tempel«. Ich weiß, dass er das mal gesagt hat. Und ich verstand auch, was er damit meinte. Aber Mama sagte immer: »Tu nicht so proletarisch, mein lieber Herr Schriftsteller. Es wird Zeit, dass du dich so verhältst, wie es deiner gesellschaftlichen Stellung entspricht.« Lauter komplizierte Ausdrücke. Leon mochte auch keine Museen und so. Mama schon. Ich bin mir nicht so sicher. Kunst mag ich eigentlich schon.
Hubschrauber flogen herum, und man konnte von der Brücke aus sehr gut sehen, was da hinten für ein Schlamassel war. Das war echt nicht cool. Gegenüber von der Brücke, auf der anderen Seite vom Wasser, war ein Hotel, das »De l’Europe« hieß. Man konnte hinter den Fenstern Leute an gedeckten Tischen sitzen sehen. Die saßen da einfach beim Essen. Die interessierten sich überhaupt nicht für die Stopera. Und dann rief Mama zum x-ten Mal an. Ich ging jetzt lieber mal dran. Lia kam ja doch nicht.
»Hallo, Mam.«
»Nathan…« Ich hörte sie keuchen, so aufgeregt und sauer war sie. Aber sie weinte nicht. Das verkniff sie sich.
»Alles okay«, sagte ich.
»Wo bist du?«
»In der Stadt.«
»Wo in der Stadt?«
»Och, im Mc.«
»Was machst du denn im Mc?«
»Na, was macht man wohl im Mc? Das ist doch keine Bibliothek oder so.«
»Nicht so vorlaut, ja?, das steht dir nicht zu! Das erlaubst du dir nicht noch einmal, hast du gehört?«
»Ich will nicht weg, Mam.«
»Wir gehen. Diese Stadt ist verrückt geworden.«
»Mir gefällt es hier.«
»Wir gehen weg.«
»Nicht jetzt«, widersprach ich. »Und morgen auch nicht.«
»Wenn du nach Hause kommst, gehen wir.«
»Dann komm ich nicht nach Hause.«
»Du kommst jetzt sofort!«
Ich beugte mich vor und hielt die Hand um meinen Mund, damit die Leute neben mir nicht hörten, was ich sagte. »Nein. Ich will morgen zu Lias Party. Das muss sein. Und wenn das nicht geht, dann komm ich nicht.«
»Das bestimme ich !«
»Mama, du bringst mich nicht dazu mitzukommen. Echt nicht. Ich schreie den ganzen Flughafen zusammen. Dass du mich entführen willst. Ungelogen.«
»Komm nach Hause, dann besprechen wir das.«
Das war ein Trick. Darauf fiel ich nicht rein. »Ich komme nur nach Hause, wenn du versprichst, dass ich morgen zu Lia darf. Dass wir frühestens übermorgen weggehen. Sonst komme ich nicht. Und ich schreie wirklich, wenn du versuchst, mich mitzuschleppen.«
»Ich will nicht, dass du so mit mir sprichst. Ich bestimme, wann wir wohin gehen, hast du gehört?«
»Ich bin kein Kind mehr, Mama. Echt nicht. Ich will nicht weg. Nicht jetzt. Eigentlich überhaupt nicht mehr.«
»Komm nach Hause, Nathan. Du hast mich ganz verrückt gemacht in den vergangenen Stunden. Du hast mich anrufen lassen, wie wenn ich eine lästige Fliege wäre, die du einfach wegschlagen kannst. Es reicht jetzt.«
»Wir bleiben morgen noch, Mama. Wir gehen nicht vor übermorgen weg. Versprochen?«
»Hier passieren Dinge, die mir nicht gefallen«, sagte sie. »Und jetzt fängst du auch noch…«
Sie war kurz still, und da wusste ich, dass sie nachgeben würde.
»Wo bist du jetzt genau?«
»Im Mc am Muntplein.«
»Das ist ganz in der Nähe vom Opernhaus. Geh da weg, Naat. Komm nach Hause.«
»Ich komm schon noch.«
»Du kommst jetzt. Nimm dir ein Taxi, Straßenbahnen fahren heute nicht mehr.«
»Alle nehmen sich Taxis. Ich sehe keine mehr.«
»Wie willst du dann nach Hause kommen?«
»Ich gehe zu Fuß.«
»Mir ist das alles unheimlich. Ich komme dir mit dem Fahrrad entgegen. Dann kann ich dich auf dem Gepäckträger
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