Ein Hauch von Kirschblüten
Scheiß hier suchen.“
„Was für einen?“, fragte Jan
mechanisch und ließ sich von dem Arzt ins Gebäude zurückführen.
„Briefmarkensammeln soll sehr
entspannend sein. Ich persönlich bevorzuge Segeln. Hab ein kleines Häuschen in
Friedrichskoog. Wann immer ich hier wegkomme, fahren meine Frau und ich dahin.
Sie sind herzlich eingeladen.“
„Danke, Doc“, brachte Jan hervor.
Er fühlte sich wie in einer anderen Welt. Konnte das wahr sein? Lag Tom
wirklich ein paar hundert Meter von ihm entfernt in einem Bett?
Das musste Schicksal sein.
Verliebte Blicke
Erst nach Dienstschluss schaffte
es Jan, sich unauffällig zu Zimmer 207 zu schleichen. Er hatte sich kaum auf
die Arbeit konzentrieren können. Seine Gedanken waren bei Tom. Er war es
tatsächlich. Eine der Schwestern hatte ihm denselben Zeitungsartikel wie Katja
unter die Nase gehalten, und war aus dem Schwärmen nicht mehr rausgekommen.
Jan holte vor der Zimmertür tief
Luft, sah sich noch einmal um, doch er war allein auf dem Gang. Leise öffnete
er die Tür.
Die morgendliche Dämmerung erhellte
den Raum spärlich, doch sie reichte aus, um Jan einen Blick auf das Gesicht des
Schlafenden werfen zu lassen. Ihm schlug das Herz bis zum Hals. Jedes Geräusch
vermeidend, schlich er sich zum Bett und beugte sich über ihn.
Mein Gott, wie schön er war.
Toms lange Wimpern berührten fast
dessen Wangen. Unter den Lidern bewegten sich die Pupillen schnell von links
nach rechts. Er träumte, und Jan gab sich der Illusion hin, Tom träumte von
ihm.
Lange betrachtete er das scharf
geschnittene Gesicht, die geschwungene Linie der Augenbrauen, die sinnlichen,
vollen Lippen. Er konnte kaum beschreiben, wie viel bei diesem Anblick auf ihn
einströmte. Zärtlich strich er ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. Jan konnte
sich nicht beherrschen, er streichelte über eine der stoppeligen Wangen,
zeichnete die Konturen von Toms Gesicht nach. Dieser seufzte leise, öffnete die
Augen und sah ihn an.
Jan meinte ein erkennendes
Aufblitzen in den dunkelblauen Augen zu sehen, doch Tom bewegte sich nicht. Er
sah ihn stumpf an. Nicht eine Regung stand in dessen Gesicht. Dann erklang ein
tiefes Seufzen und Tom schloss die Augen wieder.
Für einen Moment wusste Jan
nicht, was er davon halten sollte. Vermutlich hatte man Tom mit Schmerzmitteln
vollgepumpt und er hatte ihn doch nicht erkannt.
„Schlaf weiter“, flüsterte Jan.
„Ich werde hier sein, wenn du aufwachst.“
Jan erschrak derartig, dass er
aufschrie. Toms Hand griff nach seiner, zog ihn zu sich, er riss die Augen auf
und sah ihn ungläubig an, und das alles im Bruchteil einer Sekunde.
„Du bist es wirklich?“, flüsterte
Tom.
„Was hast du denn gedacht? Der
Geist aus der Flasche?“ Jans Herz raste wie verrückt. Er setzte sich auf die
Bettkante, wusste kaum, was er sagen sollte. Zu überwältigend war das
Glücksgefühl in seinem Brustkorb.
„Wie geht es dir?“
„Beschissen! Was glaubst du
denn?“
Jan schmunzelte. Er hatte vor ein
paar Minuten Toms Akte gelesen. Zugegeben, eine Rippenprellung war schmerzhaft,
aber nicht weiter wild. Der Verdacht auf Gehirnerschütterung hatte sich
glücklicherweise nicht bestätigt. Die paar blauen Flecke würde Tom wohl auch
überleben. Alles in allem war er glimpflich davon gekommen.
„Nicht sehr leidensfähig, was?“,
lachte Jan. „Stell dich nicht so an. Wahrscheinlich wirst du heute schon
entlassen.“
„Wirklich?“, fragte Tom
euphorisch und richtete sich im Bett auf. Er zischte mit schmerzverzerrtem
Gesicht.
Jan beugte sich über ihn,
richtete das Kissen in dessen Rücken und hoffte, es Tom etwas bequemer machen
zu können.
„Ich kann kaum glauben, dass du
wirklich vor mir stehst“, flüsterte Tom. „Was mischt ihr in die Infusion, dass
man so schöne Träume hat?“
Toms Worte waren wie Balsam für
Jans Seele. Ihm war es also nicht allein so gegangen. Auch Tom hatte an ihn
gedacht.
„Kannst du mir mal verraten,
warum wir Englisch gesprochen haben?“, fragte Jan. „Ich hab dich für einen
englischen Adligen gehalten.“
Tom lachte, presste aber sofort
eine Hand auf die schmerzenden Rippen. „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du
diesen Blödsinn lassen würdest. Mich zerreißt es innerlich, sobald ich lachen
muss.“ Er sah auf und grinste Jan an. „Mann, ist das schön, dich zu sehen.
Warum bist du abgehauen?“
„Ich musste meinen Flug kriegen.
Als ich aufwachte, wurde es schon hell.“ Jan ergriff Toms Hand und drückte
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