Ein Hauch von Kirschblüten
redete ich mir ein,
der Alkohol wäre daran schuld gewesen. Ich hatte kein Interesse, Hendrik
wiederzusehen, doch ich sah Männer seitdem anders an, hatte Fantasien, die mich
nicht mehr schlafen ließen. Auch der Sex mit Katja wurde immer
unbefriedigender, schlief irgendwann ganz ein. Komischerweise hat sie sich nie
beklagt. Zu der Zeit ging sie davon aus, dass ich Stress im Studium hatte. Über
ein Jahr quälte ich mich mit meinem Verlangen.
Eines Tages nahm mich meine
Mutter beiseite. Ich weiß es noch wie heute. Wir waren über die Osterfeiertage
zu unseren Eltern gefahren. Katja war bei ihrer Familie und ich saß mit meiner
Mutter in der Küche. Sie hatte Kaffee gekocht, stellte mir die Tasse hin,
setzte sich und sah mich energisch an. ‚So, mein Junge, und jetzt sagst du mir,
was mit dir los ist.‘
Ich hatte wahnsinnige Angst, es
zu sagen, aber mir ging es so dreckig und ich wusste nicht weiter. ‚Ich bin
schwul, Mama‘, habe ich gesagt und auf meine Finger gestarrt, die den
Kaffeebecher so fest umklammerten, dass ich fürchtete, die Tasse zu zerdrücken.
Sie schwieg. Es fühlte sich wie
eine Ewigkeit an. Ich wurde immer kleiner, als würde mein Leben in sich
kollabieren.
Irgendwann spürte ich ihre Hand
auf meiner. Ich traute mich nicht, sie anzusehen. Ihre Worte drangen tief in
meine Seele. ‚Ich liebe dich über alles, Jan, und ich wünsche mir, dass du
glücklich wirst, egal mit wem.‘ Wie ein Kleinkind habe ich in ihren Armen
gelegen und geheult.
Mein Vater brauchte etwas länger,
um es zu akzeptieren. Letztendlich war ihre Liebe zu mir größer, als die Angst
um ihren Ruf. Ich weiß, dieses Glück haben nicht alle, aber es gibt keinen
anderen Weg, um mit sich selbst klarzukommen.“
Jan wartete darauf, dass Tom
etwas sagte, doch der schwieg. Er streichelte über dessen Haar, ließ die Hand
am Nacken an Toms Hemdkragen vorbei auf dessen oberen Rücken gleiten. Du
musst auf die Liebe deines Vaters vertrauen , wollte er sagen, doch ihm
blieben die Worte im Hals stecken. Nach allem, was Tom ihm erzählt hatte, war
die Liebe seines Vaters etwas, worauf er am wenigsten zählen konnte. In dieser
Familie ging es um Macht, Status und Anerkennung.
„Ich bin für dich da, Tom“,
flüsterte er, und hatte keine Ahnung, ob die Worte bei ihm ankamen.
„Was ist aus Katja geworden?“,
wollte Tom wissen.
„Es ihr zu sagen, stellte sich
als ungleich schwerer heraus. Ich zögerte es noch zwei Wochen hinaus, aber ich
hatte keine Wahl. Sie starrte mich mit ihren großen runden Augen an, die
zunehmend in Tränen schwammen. Dann tobte sie und warf mich aus der gemeinsamen
Wohnung. Ich kam bei einem Studienkollegen unter und eines Tages stand sie vor
der Tür und sagte: ‚Komm nachhause!‘
Wir haben stundenlang geredet,
geweint, uns gegenseitig gehalten. Natürlich hatte ich sie verletzt, ihr das
Herz gebrochen. Dennoch konnte sie sich ein Leben ohne mich nicht vorstellen.
Wir retteten unsere Freundschaft, die seltsamerweise noch inniger wurde.“ Jan
lachte auf. „Als sie das erste Mal mit einem anderen geschlafen hatte, kam sie
zu mir und sagte: ‚Du bist ein lausiger Liebhaber, Jan. Ich bin froh, dass du
schwul bist.‘“
Über Toms Gesicht breitete sich
ein Schmunzeln. „Diese Frau hat keine Ahnung. Du bist wundervoll. Ich liebe es,
dich seufzen zu hören, dich zu fühlen, zu riechen, zu schmecken. Wenn ich deine
Haut auf meiner spüre, fühle ich mich angekommen.“
Jans Hand glitt tiefer,
streichelte über Toms Rücken. „Mir geht es genauso“, flüsterte er.
Sie lagen noch eine Weile auf dem
Sofa, hingen ihren Gedanken nach und genossen die Nähe, die sie sich gaben. Wie
eine Decke breitete sich Müdigkeit über sie.
„Lass uns ins Bett gehen“, sagte
Jan. „Ich möchte mich an deinen nackten Körper schmiegen.“
Thomas Richter in Aktion
Als Jan erwachte, war die Seite
neben ihm leer und kalt. Er seufzte, hätte gern Toms Wärme gespürt und sich an
ihn gekuschelt. Die vergangene Nacht war irre gewesen, obwohl sie nicht
miteinander geschlafen hatten. Vielleicht war die Nähe, die sie einander
schenkten, das Geheimnis. Schloss Jan die Augen, konnte er noch immer Toms
sanftes Streicheln auf der Haut spüren. Mehr hatten sie nicht getan –
nebeneinandergelegen, sich schweigend in die Augen gesehen und sich
gestreichelt. Wahnsinn!
Mit einem breiten Grinsen im
Gesicht stand er auf und verschwand im Bad.
Ihn traf der Schlag.
Ein nasses Handtuch lag auf dem
Boden, die Duschgelflasche
Weitere Kostenlose Bücher