Ein Hauch von Moder
Kegel fiel auf das Geröll, das einmal die Treppe im Turm gewesen war. Die Stufen, die im Turm in die Tiefe führten, waren noch alle vorhanden, soweit ich das beurteilen konnte.
Sehr vorsichtig und stets leuchtend machte ich mich an den Abstieg. Der Hauch von Moder wehte mir entgegen. Er war der Hinweis dafür, daß ich mich auf dem richtigen Weg befand.
An den Wänden klebte der Dreck als dicker Schmierfilm. Die Enge bedrückte mich irgendwie. Ich hatte das Gefühl, in eine Röhre zu steigen, aus der es keinen Ausweg gab.
Nach der dritten Wendel erfaßte der Lichtstrahl das Ende der Treppe. Dort mußte sich die Totengruft befinden.
Der Eingang zur Gruft, der von innen her von den Verdammten in die Wand geschlagen worden war, lag vor mir.
Der Modergeruch nahm zu. Penetrant und fahnengleich hing er in meiner unmittelbaren Nähe.
Er drehte mir fast den Magen um und wirkte wie eine letzte Warnung, nicht näherzutreten.
Ich ignorierte sie und schob mich auf das große Loch in der Felsenwand zu. Dahinter lag noch die Finsternis. Schwarz, wattig, undurchdringlich. Dies änderte sich sehr schnell, als der Strahl meiner Lampe hineinstach und sie aufriß.
Ich sah weder Särge noch Sarkophage. Diejenigen, die hier vor langer Zeit eingemauert worden waren, hatten keine Begräbnisstätten bekommen. Sie waren irgendwann einmal, dort wo sie standen, zusammengebrochen und vergangen.
Ich betrat die Totengruft mit klopfendem Herzen. Sie war sehr groß, das erkannte ich sofort. Schwer wie Blei hing in ihr der furchtbare Modergeruch.
War sie auch leer?
Ich hatte erst vorgehabt, mir ein Taschentuch vor die Lippen zu pressen. Das ließ ich bleiben, es hätte mich nur zu sehr behindert. So atmete ich flach durch die Nase.
Etwas strich über mein Gesicht. Wahrscheinlich Spinnweben, die ich nicht sah.
Sehr langsam ließ ich den Kegel der Lampe über den Boden wandern. Ich bekam viel zu sehen. Erde, Geröll, Schmutz, kleine Kriechtiere, auch dicke Spinnen, nur keine lebende Templer-Leiche.
Auch keine Spur von Glenda oder Sir James. Diese Totengruft war von den Verdammten verlassen worden.
Mit sicherer Bewegung überstieg ich einen im Weg liegenden Stein, wollte den Arm mit der Lampe anheben und erstarrte in der Bewegung, weil ich ein Geräusch vernommen hatte.
Angespannt blieb ich stehen. Da es sehr leise aufgeklungen war, konnte ich nicht richtig ausmachen, um was es sich handelte. War es ein Weinen, ein Schreien oder Jaulen?
Hatte es ein Mensch oder ein Tier ausgestoßen?
Jedenfalls war die Totengruft nicht so leer, wie ich zuerst angenommen hatte.
Das Geräusch, so klagend und schrecklich es sich auch anhörte, gab mir trotzdem Mut, tiefer in die unheimliche Gruft hineinzugehen. Vielleicht wartete jemand auf mich.
Ich rief in die Dunkelheit. Namen nannte ich nicht. Mein lautes »Hallo« schwang als schauriges Echo durch die Totengruft, bevor es verhallte. Der Ruf blieb ohne Antwort.
Drei Schritte spater wiederholte ich ihn noch einmal. Wieder wirkte die Höhle wie ein Trichter, der den Ruf noch verstärkte. Diesmal stark genug, daß ich auch Antwort bekam.
Es war eine Frauenstimme, die irgendwo in der Finsternis fragend meinen Namen rief. »Johnnnn?« Ich schrak zusammen. Glenda hatte gerufen!
***
Im ersten Aufwallen eines Gefühls der Erleichterung wollte ich losrennen und sehen, wo sich Glenda befand und was mit ihr geschehen war. Nein, das wäre genau falsch gewesen. Glenda befand sich in Basil Hartfords Gewalt, der wiederum wollte an mich herankommen, und das über Glenda.
Also konnte es eine Falle sein.
Deshalb blieb ich dort stehen, wo ich mich befand, und rief die nächste Frage in die Finsternis. Die Lampe hatte ich sicherheitshalber gelöscht.
»Glenda, wo bist du? Wieso hast du bemerkt, daß ich es bin, der die Höhle betreten hat?«
Meine Stimme schwang erst aus, bevor mir Glenda eine Antwort gab.
»Ich fühlte es, John, ich habe das Licht gesehen. Keiner traut sich her, nur du…«
Ich verzog die Mundwinkel. Die Antwort war gut, dennoch würde sie mir nicht ausreichen.
»Kannst du nicht kommen?«
»Nein!«
»Weshalb nicht? Hält man dich gefangen? Ist dieser Basil Hartford etwa bei dir?«
»Du mußt kommen, John, nur du.«
»Hält man dich gefangen?«
»Komm, bitte…« Ihre Stimme hatte eine andere Tonlage angenommen. Sie klang jetzt gequält. Wer immer eine Falle für mich aufgebaut haben mochte und wie immer sie auch aussah, Glenda Perkins war in diesen Augenblicken wichtiger als alles
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