Ein Hauch von Schmerz: Erotischer Roman (German Edition)
wappnen.
Bange Minuten verstrichen, dann hörte sie ihn die Treppe heruntereilen. Während er den Flur entlang auf sie zukam, versuchte sie seinem Gesicht abzulesen, wie er gestimmt war, doch seine Miene war undurchdringlich. »Danke, dass du auf mich gewartet hast«, sagte er und öffnete die Tür. Er trat zuerst ein und ließ sie an sich vorbei, nachdem das Deckenlicht angegangen war.
Sie ging nur bis zum Stehpult, doch er deutete zur Sitzgruppe. »Nimm bitte Platz.«
Vielleicht wollte er erst mit ihr reden, ihr erklären, warum sie bestraft wurde.
Er setzte sich nicht zu ihr, sondern öffnete eine der Schubladen an seinem Schreibtisch. Als sie sah, was er herausnahm, wurde ihr kalt. Es waren ihre Bewerbungsunterlagen. Sie erkannte sie an der pinkfarbenen Klarsichthülle.
Also ging es um ihre Anstellung, die vielleicht in wenigen Minuten enden würde. Wieso fragte sie ihn nicht, was er vorhatte? Wieso war sie so verstockt, wenn sie mit ihm allein war, wo sie doch sonst keine Probleme hatte, den Mund aufzumachen?
Er entnahm die Unterlagen der Klarsichthülle, blätterte sie durch und kam mit den zwei Seiten ihres Lebenslaufs in der Hand zur Sitzgruppe, wo er sich, ohne von den Blättern aufzusehen, ihr gegenüber hinsetzte.
»Ich meine mich zu erinnern …«, murmelte er. »Ja, da steht es. Du spielst Klarinette.« Er sah auf. »Ich habe dich noch nie spielen gehört.«
Sie blinzelte, um Zeit zu gewinnen und dieser unerwarteten Richtung, die das Gespräch nahm, folgen zu können. »Ähm. Nein. Ich spiele nicht mehr. Nachdem meine Eltern sich getrennt haben, wurde der Unterricht zu teuer. Wir mussten die Klarinette verkaufen.« Sie zuckte die Schultern. »Ging nicht anders.« Sie wollte nicht daran denken, wie sehr es sie geschmerzt hatte, sich von dem geliebten Instrument zu verabschieden.
Kendall legte die Blätter auf den Couchtisch und stützte die Ellenbogen auf die Knie. So saß er eine Weile schweigend da, dann sagte er: »Ich möchte mich bei dir dafür entschuldigen, dass ich dir Vorwürfe gemacht habe. Du hattest vollkommen recht, den Zündstoff aus der Situation herauszunehmen. Die Fotos sind sehr dynamisch und lebendig geworden.«
Sie strahlte und hätte vor Erleichterung am liebsten die ganze Welt umarmt. Keine Entlassung. Keine Bestrafung. Ihr Blick wanderte kurz zu dem Rohrstock an der Wand über dem Pult, huschte aber schnell wieder zu Kendall zurück.
Er setzte sich aufrecht hin und rieb die Hände aneinander, als würde er sich auf etwas freuen. »Weißt du, was wir morgen machen?«
Sie hob eine Augenbraue. »N-nein?«
»Kannst du es dir nicht denken?« Er deutete mit dem Kinn auf ihren Lebenslauf.
»Ich … nein.« Sie war müde und von ihrer unnötigen Angst vor einer Bestrafung emotional ausgelaugt.
»Wir fahren in den besten Musikladen und kaufen dir eine erstklassige Klarinette.«
»Eine Klarinette?« Sie sprang auf. Von Verstocktheit keine Spur mehr. Sie warf sich auf ihn, um ihn stürmisch zu umarmen. »Danke, Sir. Das ist fantastisch.« Wie hatte sie ihn so falsch einschätzen können? Nicht nur, dass er sie nicht bestrafte, er belohnte sie auch noch.
Er lachte gutmütig und sichtlich zufrieden, während sie ihn mit Dankesbekundungen überschüttete.
Als sie von ihm abließ, räusperte er sich und sagte: »Ich habe völlig eigennützige Motive. Wenn ich schon eine Assistentin habe, die ein Instrument beherrscht, dann will ich hin und wieder in den Genuss kommen, sie spielen zu hören. Und nun geh schlafen, dir fallen ja fast schon die Augen zu.«
»Ja, Sir. Danke.« Als sie auf dem Weg zur Tür am Stehpult vorbeikam, dachte sie daran, wie sie sich vorhin mit dem Oberkörper daraufgelegt hatte. Ob sie jemals den Ernstfall erleben würde? Sie konnte und wollte sich im Moment nicht vorstellen, dass Kendall zu so etwas fähig war.
Kapitel 6
Schon am Montagmorgen war April aufgeregt. Den ganzen Arbeitstag hindurch konnte sie sich nur schwer konzentrieren. Sie wusste nicht, was sie erwartete und inwieweit sie selbst die Entwicklung steuern wollte. Bei Blain hatte sie sich treiben lassen können, denn er bestimmte den Kurs, und wo der hinging, war immer klar umrissen gewesen. Bei Ray hingegen segelte sie auf ein unbekanntes Ziel zu, das laut Blain jenseits ihres Wohlfühlhorizonts lag.
Sie hoffte, dass es ihr gelingen würde, sich nach Carlys Rat zu richten: Nimm die Wohnung, nimm Ray, aber nimm Reißaus, wenn es brenzlig wird.
Nachdem der letzte Patient gegangen war, blieb
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