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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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widerstrebende Pferd durch das dichte Unterholz. Dann und wann konnte ich ihn sehen, schlank mit dichtem, wildem Haar, das ihm über die Schultern hing und ihn im Gegenlicht so aussehen ließ, als hätte er eine Löwenmähne.
    Die unmittelbare Todesdrohung hatte zwar ein wenig nachgelassen, doch mein Magen war verkrampft, und meine Rückenmuskeln waren steif vor Anspannung. Hodgepile hatte fürs Erste gewonnen, doch die Männer waren zu keiner wirklichen Übereinstimmung gelangt; wie leicht konnte ein Mitglied der Fraktion, die dafür gewesen war, mich umzubringen und meine Leiche für die Stinktiere und Wiesel liegen zu lassen, beschließen, der Kontroverse mit einem plötzlichen Sprung aus der Dunkelheit ein Ende zu setzen.
    Irgendwo weiter vorn konnte ich Hodgepiles Stimme hören, scharf und herrisch. Er schien sich entlang der Kolonne vor und zurück zu bewegen und seine Männer zu bedrohen und zu bedrängen und ihnen die Zähne zu zeigen wie ein Schäferhund, der versucht, seine Herde in Bewegung zu halten.
    Sie blieben in Bewegung, obwohl selbst für mich offensichtlich war, dass die Pferde müde waren. Die Stute, auf der ich saß, schlug beim Dahintrotten gereizt mit dem Kopf. Weiß Gott, woher die Plünderer kamen und wie lange sie schon unterwegs waren, als sie die Whiskylichtung erreichten. Auch die Männer wurden jetzt langsamer, und die Erschöpfung legte sich allmählich wie Nebel über sie, als das durch Flucht und Streit freigesetzte Adrenalin verebbte. Ich konnte spüren, wie sich die Erschöpfung auch über mich stahl, und ich kämpfte dagegen an und bemühte mich, wach zu bleiben.
    Es war Spätsommer, doch ich trug nur mein Hemd, und wir waren so hoch in den Bergen, dass sich die Luft nach Einbruch der Dunkelheit rasch abkühlte. Ich zitterte unablässig, und die Schnittwunde auf meiner Brust brannte, weil sich die Muskeln unter der Haut anspannten. Es war nichts Ernstes, aber was, wenn sie sich entzündete? Ich konnte nur hoffen, dass ich so lange noch leben würde, bis das zum Problem wurde.
    So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht verhindern, dass ich an Marsali denken musste oder dass mein Kopf medizinische Spekulationen unternahm und sich alles Mögliche ausmalte, von der Gehirnerschütterung mit intrakraniellen Schwellungen bis hin zu Verbrennungen und Rauchvergiftung. Ich könnte etwas tun – wenn ich dort wäre. Sonst konnte es niemand.

    Meine Hände umklammerten mit aller Kraft den Rand des Sattels und zerrten an dem Seil, mit dem sie gefesselt waren. Ich musste zu ihr!
    Aber ich war nicht bei ihr, und womöglich kam ich nie wieder zurück.
    Die Streitgespräche und das Rumoren waren so gut wie verstummt, als sich das Dunkel des Waldes um uns schloss, doch ein Gefühl der Beklommenheit blieb schwer über der Gruppe liegen. Zum Teil glaubte ich, dass es von der Anspannung und der Furcht vor Verfolgung kam, zum viel größeren Teil jedoch von der Unstimmigkeit zwischen den Männern. Der Streit war nicht behoben, sondern nur auf einen geeigneten Moment aufgeschoben. Das Gefühl eines brodelnden Konfliktes lag scharf in der Luft.
    Eines Konfliktes, der sich allein um mich drehte. Da ich während der Auseinandersetzung nicht viel hatte sehen können, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen, welche der Männer welche Meinung vertraten, doch die Spaltung war deutlich: Der eine Teil, angeführt von Hodgepile, war dafür, mich am Leben zu lassen, zumindest so lange, bis ich sie zu dem Whisky geführt hatte. Eine zweite Gruppe war dafür, ihre Verluste so gering wie möglich zu halten und mir die Kehle durchzuschneiden. Und die Meinung einer Minderheit, ausgedrückt durch den Gentleman mit dem afrikanischen Akzent, lautete, mich laufen zu lassen, und zwar je eher, desto besser.
    Offenbar würde es klug sein, meine Beziehungen zu diesem Herrn zu pflegen und zu versuchen, mir seinen Aberglauben zunutze zu machen. Doch wie? Einen Anfang hatte ich ja schon gemacht, indem ich Hodgepile verfluchte – und es verblüffte mich immer noch, dass ich das getan hatte. Ich hielt es jedoch nicht für ratsam, damit anzufangen, sie in Massen zu verfluchen – es würde die Wirkung zerstören.
    Ich rutschte im Sattel hin und her, denn er fing jetzt an, mich fürchterlich wund zu scheuern. Dies war nicht das erste Mal, dass Männer aus Angst vor dem, wofür sie mich hielten, vor mir zurückgefahren waren. Abergläubische Furcht konnte eine wirkungsvolle Waffe sein – aber ihr Einsatz war äußerst

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