Ein Hauch von Schnee und Asche
der Schweiß ausbrach. Doch im Moment war mir kalt, und ich zitterte im regennassen Luftzug, der vom Fenster kam.
Das Aroma des Weins war so kräftig, dass es selbst auf meine beschädigten Schleimhäute wirkte, und seine Süße beruhigte meine Nerven und meinen Magen gleichermaßen. Ich trank schnell den ersten Becher und schenkte mir den nächsten ein, denn ich konnte es kaum abwarten, einen leichten Schleier des Vergessens zwischen mich und die Wirklichkeit zu schieben.
Jamie trank langsamer, schenkte sich aber gleichzeitig mit mir nach. Vom
Feuer erwärmt, begann die Wäschetruhe aus Zedernholz ihren vertrauten Duft im Zimmer zu verbreiten. Er sah mich hin und wieder an, sagte aber nichts. Das Schweigen zwischen uns war zwar nicht das, was man beklommen nennen würde, doch es war geladen.
Ich sollte etwas sagen, dachte ich. Doch was? Ich trank den zweiten Becher in kleinen Schlucken und zermarterte mir das Hirn.
Schließlich streckte ich langsam die Hand aus und berührte die Stelle auf seiner Nase, an der sich die schmale Linie des längst verheilten Bruches weiß auf seiner Haut abzeichnete.
»Weißt du«, sagte ich, »du hast mir nie erzählt, wie du dir die Nase gebrochen hast. Wer hat sie für dich gerichtet?«
»Och, das? Niemand.« Er lächelte und fasste sich etwas befangen an die Nase. »Es war einfach Glück, dass es ein sauberer Bruch war, weil ich in der damaligen Situation überhaupt nicht darauf geachtet habe.«
»Wohl nicht. Du hast gesagt -« Ich brach ab, denn plötzlich fiel mir ein, was er gesagt hatte . Als ich ihn wiedergefunden hatte, dort in seiner Druckerei in Edinburgh, hatte ich ihn gefragt, wann er sich die Nase gebrochen hatte. Er hatte geantwortet: »Ungefähr drei Minuten nachdem ich dich zuletzt gesehen hatte, Sassenach.« Am Vorabend von Culloden also – auf jenem felsigen Hügel in Schottland, unterhalb des Ringes aufrechter Steine.
»Es tut mir Leid«, sagte ich etwas schwach. »Daran denkst du wahrscheinlich nicht gern, oder?«
Er ergriff meine freie Hand und sah zu mir herunter.
»Du kannst es haben«, sagte er. Seine Stimme war ganz leise, doch er sah mir direkt in die Augen. »Alles. Alles, was mir jemals angetan worden ist. Wenn du es möchtest, wenn es dir hilft, durchlebe ich es noch einmal.«
»O Gott, Jamie«, sagte ich leise. »Nein. Ich brauche es nicht zu wissen; alles, was ich wissen muss, ist, dass du es überlebt hast. Dass alles gut ist. Aber…« Ich zögerte. »Werde ich es dir erzählen?« Was mir angetan worden war, meinte ich, und er wusste es. Jetzt wandte er den Blick ab, doch er hielt meine Hand umfasst und rieb sanft mit der Handfläche über meine wunden Fingerknöchel.
»Musst du es denn?«
»Ich glaube schon. Irgendwann. Aber nicht jetzt – außer, du … du musst es hören.« Ich schluckte. »Vorher.«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf, sah mich aber nicht an.
»Nicht jetzt«, flüsterte er. »Nicht jetzt.«
Ich zog meine Hand fort und schluckte den restlichen Wein in meinem Becher, rau und warm, mit dem Aroma von Muskat und Traubenschalen. Mir wurde nicht länger abwechselnd heiß und kalt; jetzt war mir nur noch durch und durch warm, und dafür war ich dankbar.
»Deine Nase«, sagte ich und schenkte mir nach. »Dann erzähl’s mir. Bitte.«
Er zuckte sacht mit den Achseln.
»Aye, nun gut. Zwei englische Soldaten kamen als Kundschafter den Hügel hinauf. Ich glaube nicht, dass sie damit gerechnet hatten, jemanden anzutreffen – keiner von ihnen hatte seine Muskete schussbereit, sonst wäre ich ein toter Mann gewesen.«
Sein Tonfall war ganz beiläufig. Mich durchlief ein Schauer, doch nicht vor Kälte.
»Sie haben mich gesehen, und dann hat dich einer von ihnen oben auf dem Hügel entdeckt. Er hat etwas gerufen und wollte dich verfolgen, also habe ich mich auf ihn gestürzt. Mir war gleichgültig, was passiert, solange du nur gehen konntest, also bin ich einfach auf ihn losgegangen und habe ihm meinen Dolch in die Seite gestoßen. Aber seine Patronenbüchse ist mir dazwischengeraten, und das Messer ist darin stecken geblieben, und -« Er lächelte schief. »Und während ich versucht habe, es herauszuziehen und nicht umgebracht zu werden, ist sein Freund gekommen und hat mir seinen Musketenkolben ins Gesicht geschwungen.«
Beim Erzählen krümmte sich seine freie Hand und umklammerte in der Erinnerung einen Dolch.
Ich zuckte zusammen, denn jetzt wusste ich genau, wie sich das angefühlt hatte. Die bloße Schilderung
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