Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Anhängsel?«, sagte er und sah aus wie vom Donner gerührt.
    »Nicht deins«, sagte ich. »An deinem hänge ich wirklich sehr.« Dann setzte ich mich und brach in Tränen aus.
    Er legte die Arme um mich, langsam und sanft. Ich zuckte nicht zusammen und fuhr nicht zurück, und er drückte meinen Kopf an sich, um mir das feuchte, verworrene Haar zu glätten, in dessen Masse seine Finger hängen blieben.
    »Himmel, du bist ein tapferes kleines Ding«, murmelte er.
    »Nein«, sagte ich mit geschlossenen Augen. »Das bin ich nicht.« Ich packte seine Hand und hob sie an meine Lippen, strich blind mit meinem verletzten Mund über seine Fingerknöchel. Sie waren genauso blau und geschwollen wie die meinen; ich berührte mit der Zunge seine Haut und schmeckte Seife und Staub und das Silber der Kratzer und Risse – Spuren, die gesplitterte Zähne und Knochen hinterlassen hatten. Presste meine Finger auf die Adern unter der Haut von Handgelenk und Arm, weich und elastisch, und auf die festen Umrisse der Knochen darunter. Ich spürte die Zuflüsse zu den Adern und wünschte mir, ich könnte in seinen Blutstrom eindringen und mich davontragen lassen, aufgelöst und körperlos, Zuflucht finden in den dickwandigen Kammern seines Herzens. Doch das war unmöglich.
    Ich ließ meine Hand in seinen Ärmel gleiten, ging auf Erkundungsreise, klammerte mich an ihn, machte mich aufs Neue mit seinem Körper vertraut. Ich berührte das Haar in seiner Achselhöhle und streichelte es, überrascht, wie weich es sich anfühlte.
    »Weißt du«, sagte ich, »ich glaube nicht, dass ich dich da schon einmal berührt habe.«
    »Nein, das glaube ich auch nicht«, sagte er mit einer Spur nervösen Lachens in der Stimme. »Daran würde ich mich erinnern. Oh!« Gänsehaut überzog die weiche Haut an dieser Stelle, und ich drückte meine Stirn an seine Brust.
    »Das Schlimmste ist«, sagte ich in sein Hemd hinein, »dass ich sie gekannt habe. Jeden Einzelnen von ihnen. Und mich an sie erinnern werde. Und mich schuldig fühlen werde, weil sie tot sind, und zwar meinetwegen.«
    »Nein«, sagte er leise, aber sehr bestimmt. »Sie sind meinetwegen tot, Sassenach. Und wegen ihrer eigenen Bosheit. Wenn es eine Schuld gibt, soll sie auf ihnen ruhen. Oder auf mir.«
    »Nicht nur auf dir«, sagte ich, immer noch mit geschlossenen Augen. Es war dunkel hier und beruhigend. Ich konnte meine Stimme hören, entfernt
aber deutlich, und fragte mich dumpf, woher die Worte kamen. »Du bist Blut von meinem Blut, und Bein von meinem Bein. Das hast du gesagt. Was du tust, ruht auch auf mir.«
    »Dann möge mich dein Schwur erlösen«, flüsterte er.
    Er erhob mich und zog mich an sich wie ein Schneider, der ein Stück empfindliche, schwere Seide rafft – langsam, mit spitzen Fingern, Falte um Falte. Dann trug er mich durch das Zimmer und legte mich sanft auf das Bett, im Licht des flackernden Feuers.
     
    Er hatte sanft sein wollen. Ganz sanft. Er hatte es sorgfältig geplant, sich über jeden Schritt des langen Heimwegs Gedanken gemacht. Sie war zersplittert; er musste bedacht vorgehen, sich Zeit lassen. Vorsichtig sein, wenn er die Scherben wieder zusammenfügte.
    Und dann kam er zu ihr und stellte fest, dass sie sich keine Sanftheit wünschte, kein Umworbensein. Sie wünschte sich Direktheit. Abrupt und brutal. Wo sie zersplittert war, schnitt sie ihn mit ihren gezackten Kanten, rücksichtslos wie ein Betrunkener mit einer zerbrochenen Flasche.
    Ein, zwei Sekunden hatte er mit ihr gerungen, versucht, sie zu halten und sanft zu küssen. Sie hatte sich in seinen Armen gewunden wie ein Aal und sich dann beißend auf ihn gewälzt.
    Er hatte sie – sie beide – mit dem Wein entspannen wollen. Er hatte gewusst, dass sie jede Zurückhaltung verlor, wenn sie etwas getrunken hatte; ihm war nur nicht klar gewesen, was sie da zurückhielt, dachte er grimmig, während er versuchte, sie zu packen, ohne ihr wehzutun.
    Ausgerechnet er hätte es wissen müssen. Weder Angst noch Trauer noch Schmerz – nur Wut.
    Sie zerkratzte ihm den Rücken; er fühlte die Spuren ihrer abgebrochenen Fingernägel und dachte dumpf, dass das gut war – sie hatte gekämpft. Das war sein letzter Gedanke; dann überkam auch ihn die Raserei, die Wut und eine Lust, die über ihn herfiel wie schwarzer Donner über einen Berg, eine Wolke, die alles vor ihm verbarg, die ihn vor allem verbarg, bis jede liebevolle Vertrautheit verloren ging und er allein war, fremd in der Dunkelheit.
    Es hätte ihr Hals sein

Weitere Kostenlose Bücher