Ein Hauch von Schnee und Asche
der Äther – ein verlockender Gedanke, den ich jedoch widerstrebend verwarf. Es war Äther – doch ich hatte ihn noch nicht benutzt, hatte weder eine klare Vorstellung von seiner Konzentration und Wirkungsweise, noch besaß ich die Kenntnisse eines Anästhesisten, die es mir erlaubt hätten, seine Nebenwirkungen in einer derart kniffligen Situation zu berechnen, wie sie eine Geburt darstellte. Bei einer kleineren Operation konnte ich langsam vorgehen, die Atmung des Patienten beobachten und einfach einen Rückzieher machen, wenn etwas schief zu gehen schien. Wenn ich mich mitten in einem Kaiserschnitt befand und die Dinge den Bach hinuntergingen, gab es keinen Ausweg.
Marsali erschien mir übernatürlich ruhig, als lauschte sie den Vorgängen in ihrem Inneren anstatt meiner Erklärungen und Spekulationen. Doch als wir in die Nähe unseres Hauses kamen, begegneten wir Ian, der mit einer Hand voll toter Kaninchen den Berg herunterkam, die er an den Ohren baumelnd transportierte, und sie war ruckartig ganz bei der Sache.
»Ho, Cousinchen! Wie geht es denn?«, fragte er fröhlich.
»Ich brauche Fergus, Ian«, sagte sie ohne Umschweife. »Kannst du ihn suchen?«
Das Lächeln wich aus seinem Gesicht, als er sah, wie blass Marsali war, die sich auf mich stützte.
»Himmel, das Kind kommt? Aber warum -« Er blickte auf den Weg hinter uns und fragte sich wohl, warum wir Marsalis Hütte verlassen hatten.
»Geh und such Fergus, Ian«, warf ich ein. » Schnell .«
»Oh.« Er schluckte, und plötzlich sah er sehr jung aus. »Oh. Aye. Das mache ich. Sofort!« Er lief los, fuhr dann aber herum und drückte mir die Kaninchen in die Hand. Dann verließ er mit einem Satz den Pfad und rannte den Hügel hinter, wobei er zwischen den Bäumen hindurchschoss und über umgestürzte Bäume sprang. Rollo, der nicht außen vor bleiben wollte, huschte wie ein verschwommener grauer Blitz an uns vorbei und sauste den Berg hinunter und seinem Herrchen nach wie der Blitz.
»Keine Sorge«, sagte ich und tätschelte Marsalis Arm. »Sie finden ihn.«
»Oh, aye«, sagte sie und blickte ihnen nach. »Aber falls sie ihn nicht rechtzeitig finden…«
»Das werden sie«, sagte ich überzeugt. »Komm mit.«
Ich schickte Lizzie los, um Brianna und Malva Christie zu suchen – ich hatte das Gefühl, ich könnte vielleicht ein paar zusätzliche Hände gebrauchen -, und schickte Marsali zu Mrs. Bug in die Küche, um sich auszuruhen, während ich das Sprechzimmer vorbereitete. Frische Bettwäsche und Kissen über meinen Untersuchungstisch gebreitet. Ein Bett wäre zwar besser gewesen, aber ich musste meine Ausrüstung zur Hand haben.
Und die Ausrüstung selbst; die chirurgischen Instrumente, sorgfältig unter einem sauberen Handtuch verborgen, die Äthermaske, dick mit frischer Gaze gepolstert, die Tropfflasche: Konnte ich mich darauf verlassen, dass Malva den Äther verabreichte, während ich eine Notoperation durchführte? Ich glaubte es schon; das Mädchen war zwar sehr jung und völlig ungelernt, aber sie besaß eine bemerkenswerte Geistesgegenwart, und ich wusste, dass sie nicht zimperlich war. Ich füllte die Tropfflasche, das Gesicht von dem starken, süßlichen Geruch abgewandt, der von der Flüssigkeit aufstieg, und stopfte ein kleines verdrehtes Stück Watte in den Ausgießer, damit der Äther nicht verdampfte und uns alle vergaste – oder Feuer fing. Ich warf hastig einen Blick zum Kamin, doch das Feuer war aus.
Was, wenn ich es nachts tun musste, bei Kerzenschein? Das ging nicht; Äther war hoch entflammbar. Ich verdrängte die Vorstellung, wie ich im Stockfinsteren nur mit Hilfe des Tastsinns einen Notkaiserschnitt durchführte.
»Wenn ihr im Moment nichts Besseres vorhabt, wäre dies ein verdammt guter Zeitpunkt, einmal vorbeizuschauen«, murmelte ich an die Heiligen Brigitta, Raimund und Margareta von Antiochia gerichtet, angeblich allesamt Schutzpatrone der Gebärenden und Schwangeren, sowie an alle
Schutzengel – meinen, Marsalis oder den des Kindes -, die sich möglicherweise gerade im Hintergrund herumtrieben.
Irgendjemand schenkte mir offenbar Gehör. Als ich Marsali auf den Tisch verfrachtet hatte, stellte ich zu meiner übergroßen Erleichterung fest, dass der Muttermund sich zu öffnen begonnen hatte – es aber keinerlei Anzeichen für eine Blutung gab. Damit war das Risiko eines Blutsturzes zwar nicht ganz ausgeschaltet, aber die Wahrscheinlichkeit war deutlich geringer.
»Es scheint fest zu schlafen«, sagte
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