Ein Hauch von Schnee und Asche
ein paar Schindeln waren vom Dach geweht; die Eingangstreppe hing an einer Stelle durch, und das Ölpapier vor dem einzigen Fenster hatte einen Riss, den jemand hastig mit einem Stück Stoff verstopft hatte. Kleinigkeiten, aber Dinge, um die sich jemand kümmern sollte, bevor der Schnee kam – und er würde bald kommen; ich konnte ihn in der Luft spüren, als der leuchtend blaue Himmel des Spätherbstes allmählich in das diesige Grau des nahenden Winters überging.
Niemand eilte mir entgegen, um mich zu begrüßen, doch ich wusste, dass sie zu Hause waren; aus dem Schornstein kamen Rauch und Funken – immerhin schien Fergus in der Lage zu sein, sie mit genug Kaminholz zu versorgen, dachte ich bissig. Ich rief fröhlich »Halloo!« und drückte die Tür auf.
Ich spürte es sofort. Ich traute meinen Gefühlen im Moment nicht sehr weit über den Weg, aber dieses ging mir durch Mark und Bein. Es ist das Gefühl, das man als Arzt hat, wenn man ein Untersuchungszimmer betritt und weiß , dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Noch bevor man die erste Frage stellt, bevor man die erste Untersuchung durchführt. Es kommt nicht oft vor, und man wünscht sich, es geschähe nie – doch dann passiert es doch. Man weiß es, und es gibt kein Entrinnen.
Es waren die Kinder, die es mir mehr als alles andere verrieten. Marsali saß am Fenster und nähte, und die beiden Mädchen spielten leise zu ihren Füßen. Germain – untypischerweise nicht im Freien – saß mit schaukelnden Beinen am Tisch und beugte sich stirnrunzelnd über ein zerfleddertes, aber heißgeliebtes Bilderbuch, das Jamie ihm aus Cross Creek mitgebracht hatte. Sie wussten es auch.
Marsali blickte auf, als ich ins Zimmer kam, und ich sah, wie sich ihr Gesicht beim Anblick des meinen erschrocken anspannte.
»Es ist nichts«, sagte ich hastig und schnitt ihren Ausruf ab. »Nur blaue Flecken. Aber wie geht es dir?«
Ich stellte meine Tasche hin und nahm ihr Gesicht in meine Hände, um es sanft zum Licht zu drehen. Sie hatte heftige Prellungen auf der einen Wange und dem Ohr, und auf ihrer Stirn verblasste eine Beule – aber sie hatte keine offenen Wunden, und ihre Augen sahen mich klar und gesund an. Ihr Hautfarbe war gut, keine Gelbsucht, kein schwacher Geruch, der auf Nierenversagen hindeutete.
Ihr geht es gut. Es ist das Baby , dachte ich und ich ließ meine Hände auf ihren Bauch sinken, ohne zu fragen. Mir war kalt ums Herz, als ich ihren Bauch umfasste und sanft anhob. Ich biss mir vor Überraschung fast auf die Zunge, als mir der Tritt eines winzigen Knies antwortete.
Das gab mir neuen Mut; ich hatte gedacht, das Kind wäre tot. Ein rascher Blick in Marsalis Gesicht dämpfte meine Erleichterung. Sie war hin- und hergerissen zwischen Angst und der Hoffnung, ich würde ihr sagen, dass das, was sie genau wusste, nicht wahr war.
»Hat sich das Baby in den letzten paar Tagen sehr viel bewegt?«, fragte ich um einen ruhigen Tonfall bemüht, während ich mein Stethoskop hervorholte. Ich hatte es mir von einem Zinngießer in Wilmington machen lassen – eine kleine Glocke mit einem flachen Endstück -, primitiv, aber wirksam.
»Nicht so viel wie vorher«, antwortete Marsali und lehnte sich zurück, damit ich ihren Bauch abhören konnte. »Aber das kommt doch vor, oder? Wenn sie beinahe bereit sind herauszukommen? Joanie war die ganze Nacht, bevor die Fruchtblase geplatzt ist, so reglos wie eine To- wie ein Mühlstein.«
»Nun ja, doch, das tun sie oft«, bestätigte ich, ohne darauf einzugehen, was sie beinahe gesagt hatte. »Wahrscheinlich ruhen sie sich aus.« Sie lächelte als Erwiderung, doch ihr Lächeln verschwand wie eine Schneeflocke auf heißem Eisen, als ich mich dicht über sie beugte und mein Ohr an das abgeflachte Ende der trompetenförmigen Metallröhre hielt, deren breite, glockenförmige Öffnung ich auf ihren Bauch drückte.
Es dauerte einige Zeit, bis ich den Herzschlag fand, und als es mir gelang, war er ungewöhnlich langsam. Außerdem setzte er dann und wann aus; meine Arme überzogen sich mit einer Gänsehaut, als ich das hörte.
Ich fuhr mit meiner Untersuchung fort, stellte ihr Fragen, machte kleine Witze, hielt inne, um die Fragen der anderen Kinder zu beantworten, die sich um uns drängten, sich gegenseitig auf die Füße traten und mir im Weg waren – und während der ganzen Zeit raste mein Verstand und malte sich Möglichkeiten aus, allesamt schlecht.
Das Kind bewegte sich – aber nicht richtig. Sein Herz schlug – aber
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