Ein Hauch von Schnee und Asche
ihren Fehler eine Sekunde zu spät. Ein erschrockener Ausdruck huschte über sein Gesicht, nur für einen Moment, dann war er fort.
»Ich meine… den Schlamm«, sagte sie, obwohl sie wusste, dass es zu spät war. »Es muss gewaschen werden.«
»Oh, aye, natürlich.« Ohne Zögern zog er sich das Hemd über den Kopf und wandte ihr den Rücken zu, um sich nach einem passenden Ast umzusehen, an den er es hängen konnte.
Eigentlich schockierten seine Narben sie nicht. Sie hatte sie schon öfter flüchtig gesehen, sie sich häufig vorgestellt, und in Wirklichkeit waren sie viel weniger ausgeprägt. Die Narben waren alt, ein blasses Silbernetz, das fließend über die Schatten seiner Rippen wanderte, als er jetzt die Arme nach oben ausstreckte. Er bewegte sich ganz natürlich. Nur die Anspannung in seinen Schultern verriet etwas anderes.
Ihre Hand schloss sich unwillkürlich auf der Suche nach dem nicht vorhandenen Stift und spürte den Verlauf der Linie, die diesen Hauch von Beklommenheit einfangen würde, diesen Misston, der den Beobachter anziehen würde, noch näher, während er sich fragte, was diese Szene ländlicher Anmut nur an sich hatte.
Du sollst deines Vaters Blöße nicht aufdecken , dachte sie und spreizte die Finger wieder, um sie flach gegen ihren Oberschenkel zu drücken. Doch er hatte sich schon wieder umgedreht und kam jetzt das Ufer herunter, den Blick auf die verhedderten Binsen und die Steine zu seinen Füßen gerichtet.
Er rutschte den letzten halben Meter und landete platschend und mit wedelnden Armen neben ihr, um das Gleichgewicht zu behalten. Sie lachte, ganz wie er es beabsichtigt hatte, und er lächelte. Sie dachte kurz daran, ihn darauf anzusprechen, sich zu entschuldigen – doch er wich ihrem Blick aus.
»Also, verrücken wir ihn, oder umgehen wir ihn?« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Felsbrocken, der im Ufer feststeckte; er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen und drückte versuchsweise.
»Meinst du, wir können ihn verrücken?« Sie watete an seine Seite, raffte ihre nassen Hemdschöße und wrang sie aus. »Ihn zu umgehen würde bedeuten, dass ich den Graben um drei Meter verlängern muss.«
»So viel?« Er sah sie überrascht an.
»Ja. Ich möchte hier eine Einkerbung graben, um dort zu der Biegung durchzustoßen – dann kann ich hier ein kleines Wasserrad bauen und bekomme
eine ordentliche Fallhöhe.« Sie lehnte sich an ihm vorbei und zeigte mit dem Finger flussabwärts. »Die nächstbeste Stelle wäre dort unten – siehst du, wo die Uferbänke höher werden? -, aber hier ist es besser.«
»Aye, verstehe. Warte einen Moment.« Er ging zurück zur Uferböschung, kletterte hinauf und verschwand im Wald, aus dem er mit mehreren kräftigen Eichenschösslingen zurückkam, an denen noch glänzende Blattreste hingen.
»Wir brauchen ihn doch nicht aus dem Bachbett zu heben, aye?«, fragte er. »Es reicht doch, ihn ein Stück fort zu bewegen, so dass du dahinter durch das Ufer stoßen kannst?«
»Genau.« Schweißbäche sammelten sich in ihren dichten Augenbrauen, bevor sie ihr rechts und links über das Gesicht liefen. Sie buddelte jetzt seit fast einer Stunde; ihr Arme schmerzten, weil sie den schweren Schlamm mit der Schaufel hochgehievt hatte, und ihre Hände waren voller Blasen. Von Herzen dankbar gab sie den Spaten ab und trat in den Bach, um sich kaltes Wasser auf ihre zerkratzten Arme und in das errötete Gesicht zu spritzen.
»Eine schwere Arbeit«, merkte ihr Vater an und grunzte, während er den Felsbrocken zügig untergrub. »Hättest du Roger Mac nicht bitten können, sie zu tun?«
»Er ist beschäftigt«, sagte sie. Ihr war bewusst, wie kurz angebunden ihr Tonfall war, aber ihr war nicht danach, dies zu verbergen.
Ihr Vater warf ihr einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts mehr, sondern widmete sich ganz der richtigen Positionierung seiner Eichenstecken. Wie Eisenspäne vom Magnetismus ihres Großvaters angezogen, erschienen Jemmy und Germain aus dem Nichts und forderten lautstark, helfen zu dürfen.
Sie hatte sie gebeten, ihr zu helfen, was sie auch getan hatten – ein paar Minuten lang, bis sie ein Stachelschwein in den Bäumen erspäht hatten. Jetzt jedoch, da Jamie das Kommando übernommen hatte, stürzten sie sich in die Arbeit und schaufelten wie besessen mit flachen Holzstücken den Uferschlamm beiseite. Sie kicherten, schubsten sich gegenseitig, waren ständig im Weg und stopften sich gegenseitig Schlamm in die Hosen.
Wie bei Jamie
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