Ein Hauch von Schnee und Asche
auf dem ihren spüren; seine Berührung sang in ihrem Blut.
Jamie streckte die Hand aus und fing ein vorbeifliegendes Glühwürmchen, das er einen Moment in der dunklen Höhle seiner Hand gefangen hielt, wo es weiter blinkte, so dass sein kühles Licht durch seine Finger drang. Weiter entfernt hörte sie kurz die Stimme ihrer Mutter, die aus einem offenen Fenster kam; Claire sang »Clementine« .
Jetzt heulten die Jungen – und Roger – den Mond an, obwohl er nur als blasse Sichel am Horizont stand. Sie spürte, dass sich auch ihr Vater lautlos vor Lachen schüttelte.
»Es erinnert mich an Disneyland«, sagte sie einer Eingebung folgend.
»Oh, aye? Wo ist denn das?«
»Es ist ein Vergnügungspark – für Kinder«, fügte sie hinzu, denn sie wusste zwar, dass es schon so etwas wie Vergnügungsparks in Städten wie London oder Paris gab, doch diese waren nur für Erwachsene. Zu dieser Zeit kam niemand auf die Idee, Kinder zu unterhalten, abgesehen von Familienspielen und gelegentlichen Spielzeugen.
»Papa und Mama sind jeden Sommer mit mir dort hingefahren«, sagte sie und versetzte sich mühelos in die heißen, hellen Tage und die warmen Nächte Kaliforniens zurück. »Die Bäume waren alle voller kleiner Glitzerlichter – daran haben mich die Glühwürmchen erinnert.«
Jamie öffnete die Hand; plötzlich freigelassen, pulsierte das Glühwürmchen noch ein- oder zweimal vor sich hin, dann breitete es leise summend die Flügel aus, erhob sich in die Luft und schwebte auf und davon.
»Dwelt a miner, forty-niner, and his daugh-ter, Clementine …«
»Und wie war es dort?«, fragte er neugierig.
»Oh … es war wundervoll.« Sie lächelte vor sich hin, während sie die strahlenden Lichter der Main Street sah, die Musik und die Spiegel und die
bildschönen, verzierten Pferde von König Artus’ Karussell. »Es gab … Fahrgeschäfte nannten wir das. Ein Boot, mit dem man auf einem Fluss durch den Dschungel treiben und Krokodile sehen konnte und Flusspferde und Kopfjäger …«
»Kopfjäger?«, sagte er fasziniert.
»Keine echten«, versicherte sie ihm, »es war alles nur Schau – aber es ist… nun ja, es ist eine eigene Welt. Wenn man dort ist, verschwindet die richtige Welt sozusagen, und es kann nichts Böses geschehen. ›Der glücklichste Ort der Welt‹ nennt man es – und für kurze Zeit kann es einem wirklich so vorkommen.«
»Light she was, and like a fairy, and her shoes were number nine,
Herring boxes without topses, sandals were for Clementine.«
»Und ununterbrochen war überall Musik«, sagte sie lächelnd. »Marschkapellen – Gruppen von Musikanten mit Instrumenten wie Hörner und Trommeln – sind durch die Straßen spaziert oder haben in Pavillons gespielt …«
»Aye, so ist das in Vergnügungsparks. Oder so war es, das eine Mal, als ich einen besucht habe.« Auch in seiner Stimme konnte sie ein Lächeln hören.
»Mm-hm. Und überall spazieren Comicfiguren herum – ich habe dir doch von Comics erzählt. Man kann Mickey Mouse die Hand schütteln oder -«
Wem?«
»Mickey Mouse.« Sie lachte. »Eine große Maus, lebensgroß – so groß wie ein Mensch, meine ich. Sie trägt Handschuhe.«
»Eine riesige Ratte?«, fragte er und klang leicht verblüfft. »Und damit lässt man die Kinder spielen?«
»Keine Ratte, eine Maus«, verbesserte sie ihn. »Eigentlich ein Mensch, der als Maus verkleidet ist.«
»Oh, aye?«, sagte er, klang aber nicht sonderlich beruhigt.
»Ja. Und ein riesiges Karussell mit bemalten Pferden und ein Eisenbahnzug, der durch die Regenbogenhöhle fährt, in deren Wänden große Edelsteine stecken, und bunte Bäche mit rotem und blauem Wasser … und Orangensafteis. Oh, Orangensafteis!« Sie stöhnte leise und ekstatisch bei der Erinnerung an die kalte, saure, überwältigende Süße.
»Dann war es schön?«, fragte er leise.
»Thou art lost and gone forever, dreadful sor-ry, Clementine.«
»Ja«, sagte sie, seufzte und schwieg einen Moment. Dann legte sie den Kopf an seine Schulter und die Hand auf seinen kräftigen Arm.
»Weißt du was?«, sagte sie, und er antwortete mit einem kleinen Fragelaut.
»Es war schön – es war wunderschön – aber was mir am meisten gefallen hat war, dass wenn wir dort waren, nur wir drei existierten und alles perfekt war. Mama hat sich keine Sorgen um ihre Patienten gemacht, Papa hat nicht an einem Thesenpapier gearbeitet – sie haben sich nie angeschwiegen
oder gestritten. Sie haben beide gelacht – wir haben alle
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