Ein Hauch von Schnee und Asche
anderen Seite der Jungen und sah Roger mit solch unverhohlener Anbetung an, dass ihm unbehaglich wurde.
Die Christies hatten den Ehrenplatz in der Mitte der ersten Bank. Malva Christie, sittsam unter ihrer Spitzenhaube, ihr Bruder, der schützend auf ihrer einen Seite saß, ihr Vater auf der anderen, anscheinend ohne sich der Blicke bewusst zu sein, die einige der jungen Männer gelegentlich in ihre Richtung warfen.
Zu Rogers großer Überraschung waren Jamie und Claire ebenfalls gekommen, wenn sie auch ganz hinten standen. Sein Schwiegervater war ruhig und ungerührt, doch Claires Gesicht war ein offenes Buch; sie fand das Geschehen eindeutig amüsant.
»…und wenn wir die Liebe Christi wahrhaft als das betrachten, was sie ist…« Es war sein durch zahllose Vorlesungen geschärfter Instinkt, der ihm zu Bewusstsein brachte, dass etwas nicht stimmte: ganz hinten in der Ecke, in der sich mehrere halbwüchsige Jungen gesammelt hatten. Einige der zahlreichen McAfee-Jungen und Jacky Lachlan, allgemein als der Satansbraten bekannt.
Nicht mehr als ein kleiner Schubs, das Aufglitzern eines Auges, ein Gefühl unterdrückter Aufregung. Doch er spürte es und blickte wiederholt mit zusammengekniffenen Augen in diese Ecke, um sie im Griff zu behalten. Und
so sah er auch zufällig, wie die Schlange zwischen Mrs. Crombies Schuhe glitt. Es war eine kräftige Königsnatter, leuchtend gestreift in Rot, Gelb und Schwarz, und eigentlich machte sie einen erstaunlich ruhigen Eindruck.
»Nun mögt Ihr sagen, wer ist denn mein Nächster? Und das ist eine gute Frage, wenn man an einem Ort lebt, an dem die Hälfte der Menschen, denen man begegnet, Fremde sind – und viele von ihnen außerdem mehr als nur ein wenig merkwürdig.«
Ein beifälliges Tuscheln ging bei diesen Worten durch die Menge.
Die Schlange glitt lässig hin und her. Sie hatte den Kopf gehoben, und die Zunge fuhr ihr neugierig aus dem Maul, während sie die Luft prüfte. Es musste eine zahme Schlange sein; das Gedränge störte sie nicht.
Das konnte man umgekehrt nicht sagen; Schlangen waren in Schottland selten, und sie machten die meisten Emigranten nervös. Abgesehen davon, dass man sie automatisch mit dem Teufel in Verbindung brachte, konnten oder wollten die meisten Leute Giftschlangen nicht von anderen Arten unterscheiden, da die einzige in Schottland vorkommende Schlange, die Kreuzotter, giftig war . Sie würden außer sich sein, dachte Roger grimmig, wenn sie zu Boden blickten und sahen, was dort lautlos zu ihren Füßen über die Dielen glitt.
Ein ersticktes Kichern, das plötzlich abbrach, erhob sich aus der Ecke der Schuldigen, und in der Kongregation wandten sich mehrere Köpfe und stießen wie aus einem Munde ein »Schsch!« aus.
»… als ich Hunger hatte, habt Ihr mir zu essen gegeben; als ich Durst hatte, habt Ihr mir zu trinken gegeben. Und wer in Eurer Bekanntschaft würde selbst … selbst einen Sassenach abweisen, wenn er hungrig vor Eurer Tür stünde?«
Belustigung regte sich der Menge, und leicht entsetzte Blicke richteten sich auf Claire, die kräftig errötet war, jedoch vor unterdrücktem Gelächter, so hoffte er, nicht vor Ärger.
Ein rascher Blick zu Boden; die Schlange, die angehalten und Rast gemacht hatte, war wieder unterwegs und schob sich sanft um das Ende einer Bank. Roger fiel eine plötzliche Bewegung ins Auge; Jamie hatte die Schlange gesehen und war zusammengezuckt. Jetzt stand er stocksteif da und beäugte sie, als wäre sie eine Bombe.
Roger hatte in den Atempausen seiner Predigt Stoßgebete zum Himmel gesandt und dem Allmächtigen nahe gelegt, in seiner Güte dafür zu sorgen, dass sich die Schlange in aller Ruhe zur offenen Hintertür hinaus verzog. Er intensivierte diese Gebete, während er sich gleichzeitig unauffällig den Rock aufknöpfte, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Wenn das verflixte Tier zur Vorderseite des Zimmers kroch statt nach hinten, würde er einen Satz nach vorn machen und versuchen müssen, sie zu fangen, bevor sie für jeden sichtbar wurde. Das würde zwar eine Störung bedeuten, aber nichts im Vergleich zu dem, was geschehen konnte, wenn …
»…nun wird Euch aufgefallen sein, was Jesus sagte, als er mit der Samariterin am Brunnen gesprochen hat…«
Die Schlange war immer noch halb um das Bein der Bank gewickelt und überlegte. Sie war nur einen knappen Meter von seinem Schwiegervater entfernt. Jamie beobachtete sie wie ein Falke, und auf seiner Stirn hatte sich ein deutlicher
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