Ein Hauch von Schnee und Asche
Dreier-Auseinandersetzung zwischen Jamie, Brown und Hiram entwickelt, wobei die beiden Ersten auf ihren Positionen beharrten und der arme Hiram, der damit völlig überfordert war, versuchte, den Mittler zu spielen. Sofern ich noch Gefühle übrig hatte, tat er mir wirklich Leid.
»Ergreift ihn!«, rief plötzlich eine Stimme. Allan Christie schob sich durch die Menge nach vorn und zeigte auf Jamie. Seine Stimme zitterte und überschlug sich, so gefühlsgeladen war er. »Er ist es, der meine Schwester geschändet hat; er, der sie umgebracht hat! Wenn Ihr jemandem den Prozess machen wollt, nehmt ihn!«
Unterschwelliges Beifallsgemurmel regte sich auf diese Worte hin, und ich beobachtete, wie John MacNeill und Hugh Abernathy dichter zusammenrückten und die Blicke beklommen von Jamie zu den drei Lindsay-Brüdern und zurückschweifen ließen.
»Nein, sie war’s!«, widersprach eine laute, schrille Frauenstimme. Eine der Fischersfrauen; sie wies mit dem Finger in meine Richtung, das Gesicht boshaft verkniffen. »Ein Mann würde vielleicht ein Mädchen umbringen, das er geschwängert hat – aber kein Mann würde den Frevel begehen, ein ungeborenes Kind aus dem Mutterleib zu stehlen! Nur eine Hexe würde das tun – und sie haben sie doch mit der armen, kleinen Leiche in den Händen gefunden!«
Noch lauteres, vernichtendes Raunen war die Reaktion darauf. Die Männer hätten vielleicht im Zweifel für die Angeklagte entschieden – die Frauen aber nicht.
»Im Namen des Allmächtigen!« Hiram verlor jetzt die Kontrolle über die Situation und verfiel langsam in Panik. Die Lage war gefährlich nahe daran zu kippen; jeder konnte die Hysterie und den Blutdurst in der Luft spüren. Er richtete den Blick zum Himmel, suchte nach Inspiration – und fand sie.
»Ergreift sie beide!«, sagte er plötzlich. Er sah zuerst Brown an, dann Jamie. »Ergreift sie beide«, wiederholte er, als prüfte er diesen Vorschlag und befände ihn für gut. »Ihr werdet mitgehen, um Euch zu überzeugen, dass Eurer Frau nichts zustößt«, sagte er in aller Vernunft zu Jamie. »Und wenn es sich erweist, dass sie unschuldig ist…« Jetzt erstarb seine Stimme, weil ihm dämmerte, dass er gerade sagte, dass im Fall meiner Unschuld
Jamie schuldig sein musste, und was für eine gute Idee es doch war, ihn greifbar zu haben, um ihn dann stattdessen zu hängen.
»Sie ist unschuldig; ich bin es ebenfalls.« Jamies Stimme war jetzt nicht mehr erregt; er wiederholte seine Worte einfach nur hartnäckig. Er hegte keine wirkliche Hoffnung, irgendjemanden zu überzeugen; wenn in der Menge überhaupt noch ein Zweifel herrschte, so höchstens daran, wer von uns beiden der Schuldige war – oder ob wir den Plan zu Malva Christies Vernichtung gemeinsam ausgeheckt hatten.
Er wandte sich ihnen plötzlich zu und rief sie auf Gälisch an.
»Wenn ihr uns in die Hände des Fremden übergebt, soll unser Blut über euch kommen, und ihr werdet am Jüngsten Tag für unser Leben gerade stehen!«
Bei diesen Worten verstummte die Menge plötzlich. Männer richteten beklommene Blicke auf ihre Nebenmänner und betrachteten Brown und seine Kohorte voll Argwohn.
Diese waren zwar allen bekannt, doch sie waren Fremde, Sassenachs – im schottischen Sinn. Das gleiche galt für mich, die ich außerdem eine Hexe war. Jamie mochte ein Lüstling, Vergewaltiger und papistischer Mörder sein – doch immerhin war er kein Fremder.
Der Mann, auf den ich geschossen hatte, funkelte mich boshaft über Browns Schulter hinweg an; offenbar hatte ich ihn nur gestreift, so ein Pech. Ich erwiderte seinen Blick, während sich der Schweiß zwischen meinen Brüsten ansammelte und mir die Feuchtigkeit heiß und schlüpfrig unter dem Schleier meiner Haare klebte.
In der Menge erhoben sich Gemurmel und erregte Diskussionen. Ich verfolgte, wie sich die Männer aus Ardsmuir langsam durch das Gedränge auf die Veranda zuschoben. Kenny Lindsays Blick hing an Jamies Gesicht, und ich spürte, wie Jamie neben mir tief Luft holte.
Sie würden für ihn kämpfen, wenn er sie rief. Doch es waren zu wenige, dazu schlecht bewaffnet, im Gegensatz zu Browns Pöbel. Sie würden nicht gewinnen – und es waren Frauen und Kinder in der Menge. Seine Männer zu rufen, würde nur einen blutigen Aufruhr heraufbeschwören und den Tod Unschuldiger auf sein Gewissen laden. Das war eine Bürde, die er nicht tragen konnte; nicht jetzt.
Ich sah, wie er zu demselben Schluss kam und sich sein Mund anspannte. Ich hatte keine
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